Die kurze Antwort: Storytelling ist Geschichtenerzählen.
Die lange Antwort: Storytelling ist eine Methode, Daten und Fakten und sonstiges Wissenswertes mittels einer Geschichte zu vermitteln. Auf diesem Wege wird eine emotionale Bindung zum Gegenstand der Geschichte ausgebaut, ob es sich nun um ein Produkt oder eine Person handelt. Deshalb kannst Du es auch für Bewerbungen nutzen.
Vermutlich erzählen sich die Menschen Geschichten, seit sie verbal miteinander kommunizieren. Höhlenmalereien sind nichts anderes als eine Form des Storytellings – hier eben mit Symbolen statt Worten. Märchen sind Geschichten mit universellen Wahrheiten. Romane, Filme, Zeitschriften – alle Medien erzählen Geschichten. Und der Mensch liebt Geschichten. Nicht nur die Kleinen, die vor dem Einschlafen „noch eine Geschichte, bitte bitte!“ hören wollen, sondern auch die Großen, die gebannt Netflix-Serien folgen.
Warum Storytelling?
Eine Story zu entwickeln und zu erzählen, kann Zeit und Mühe kosten. Warum solltest Du Dir die Arbeit machen, wenn Du doch einfach Deine Fakten präsentieren kannst?
Weil Geschichten interessanter sind
Musstest Du schon mal eine dröge Unternehmenspräsentation über Dich ergehen lassen, in der ein*e Referent*in Zahlen, Daten, Fakten runterrasselte? Bei der sich Deine Lebensgeister schon nach wenigen Minuten zu verabschieden drohten? Aus der Du absolut nichts mitnahmst außer der Erinnerung daran, wie langweilig es war?
Da wurde wahrscheinlich kein Storytelling genutzt.
Wenn Du Zahlen, Daten, Fakten in eine Geschichte einbetten kannst, wird man Dir aufmerksamer folgen. Und vor allem: Man wird Dir lieber zuhören (oder mit größerer Freude lesen).
Weil der Mensch sich Geschichten besser merkt
Bis zu 22x besser.
Eine Geschichte mit ihrer Emotionalität regt das Hirn anders an als eine reine Auflistung von Fakten. Das bedeutet, dass Dein Gegenüber sich Deine Geschichte besser merken kann. Damit bleibst auch Du oder Dein Anliegen besser im Gedächtnis.
Ein Beispiel: Im Jurastudium muss man ziemlich komplexe und mitunter abstrakte Zusammenhänge und Vorschriften kapieren und sich merken. Wenn Dozent*innen Geschichten erzählen (sie nennen das Fallbeispiel), die diese Zusammenhänge illustrieren, fällt das Erinnern und Verstehen leichter. In meinen Jurakursen heiß es ständig „Ich hatte da mal einen Fall …“ Mehr als 20 Jahre später kann ich mich an diverse dieser Fälle noch gut erinnern – und an die dazugehörigen Vorschriften auch.
In einem separaten Artikel beschreibe ich, was eine gute Geschichte ausmacht.
Wie kannst Du Storytelling für Bewerbungen nutzen?
Auch im Bewerbungsprozess kann Storytelling Dir helfen, Dich von der Konkurrenz abzuheben und Deinem Gegenüber in Erinnerung zu bleiben. Denn eines kann ich Dir aus eigener Erfahrung versichern: Wenn Personaler erstmal hintereinander Gespräche mit fünf oder mehr Bewerber*innen geführt hast, können sie die nachher kaum noch auseinanderhalten.
Um ganz klar zu sein: Du darfst hier natürlich nicht lügen. Wenn Du das tust und die Lüge später herauskommt, ist das Grund für eine fristlose Kündigung. Aber Du kannst Deine Geschichten so formulieren, dass sie Deine tatsächlichen Stärken unterstreichen.
„Erzählen Sie doch mal von sich“
„Erzählen Sie uns doch mal von sich selbst“ kann ein Hinweis darauf sein, dass Dein Gegenüber nicht besonders gut auf das Gespräch vorbereitet ist. Oder er/sie will sehen, wie Du Dich präsentierst. Perfekt, um Deinen Werdegang mittels einer Geschichte zu vermitteln. Das muss natürlich gut vorbereitet sein, damit Du mehr erzählst als „ich wurde geboren, ging zur Schule, studierte, arbeite bei A, B, C, und jetzt sitze ich auf diesem Stuhl“.
Hier hast Du die volle Kontrolle darüber, wie Du einzelne Stationen in Deinem Leben präsentierst und welche Emotionen Du dabei weckst.
Du kannst Dich auch sehr menschlich präsentieren mit gewissen Schwächen. Eine Bekannte erzählte beispielsweise, wie sie mit 16 Jahren ein Jahr in Australien verbrachte. Es dauerte etwas, bis sie sich an das australische Englisch gewöhnt hatte und Fragen richtig verstand – bis dahin, meinte sie, hätte sie wahrscheinlich bei dem einen oder anderen Australier etwas falsche Vorstellungen von Deutschland verankert …
Soft Skills
Besonders gut eignet sich Storytelling, um Soft Skills darzustellen. „Ich bin teamfähig und kann mit Stress umgehen“, kann schließlich jede*r behaupten. Mit einer Geschichte aus Deinem Arbeitsalltag oder Privatleben, in der Du Teamfähigkeit und Stressresilienz an den Tag gelegt hast, kannst Du es „nachweisen“.
Diese Erkenntnis ist auch bei Unternehmen angekommen. Zunehmend kommen in Bewerbungsgesprächen Fragen wie „Erzählen Sie uns von einer Situation, in der Sie …“ Selbst wenn solche Fragen nicht kommen, kannst Du an geeigneter Stelle selber eine Geschichte einfließen lassen. Dazu solltest Du Dir natürlich im Vorfeld überlegt haben:
- Welche Eigenschaften oder Stärken möchtest Du darstellen?
- Welche Begebenheiten illustrieren diese Eigenschaften/Stärken besonders gut?
Je nachdem, wie selbstdarstellerisch Du veranlagt bist, fällt Dir vielleicht auf Anhieb keine Geschichte ein. Schließlich ist doch alles, was Du in der Arbeit so gemacht hast, völlig selbstverständlich und nicht der Rede wert. Wirklich? Für Dich mag das alles selbstverständlich sein, für andere nicht unbedingt. Ich dachte lange Zeit, es sei total normal, Entscheidungen zu treffen – bis ich mal eine Kollegin hatte, die dazu nicht in der Lage war. Eine andere konnte nicht priorisieren, eine weitere nicht realistisch Risiken abschätzen.
Überleg Dir, was Du gut kannst und wo Du das wie eingesetzt hast. Schon hast Du eine Geschichte.
Initiativbewerbungen
Initiativbewerbungen werden ja von manchen Arbeitgebern angenommen, von anderen sogar angefordert. Aber was soll man da schreiben? „Ich passe perfekt zu Ihnen, weil ich dies, das und noch was anderes bin und kann, bitte melden Sie sich, wenn Sie eine geeignete Stelle haben“? Gähn. Besser eine Geschichte, in der Du die wesentlichen Dinge, die Deiner Meinung nach für das Unternehmen interessant sind, darstellst.
Ein Beispiel aus der Praxis
Und wenn Du meinst, Du brauchst das nicht, weil Deine Qualifikationen für sich sprechen … dann möchte ich Dir jetzt eine kleine Geschichte erzählen.
Es geht hier nicht direkt um die Wirkung einer bestimmten Geschichte. Es geht aber um die Wirkung der Art, in der Du Dich darstellst. Im Grunde genommen ist das nichts Neues. Es gibt schon seit Jahren Untersuchungen darüber, dass es weniger auf den Inhalt des Gesagten ankommt als auf die Präsentation desselben. Und mit dem Storytelling hast Du eine leicht umzusetzende Methode, die Du noch dazu ohne teure Seminare einüben kannst.
Also, was war los?
Vor vielen Jahren arbeitete ich mal für einen internationalen Studiengang. Der war ziemlich teuer, deshalb hatten wir Stipendien für Leute, die qualifiziert waren, aber kein Geld hatten. Ich führte per Videokonferenz die Auswahlgespräche. Das waren immer standardisierte Interviews, d. h., alle bekommen die gleichen Fragen.
In einem Durchgang hatte ich direkt nacheinander Gespräche mit einer Frau und einem Mann, beide aus Lateinamerika, beide mit fachlich starkem Profil. Die Frau war offensichtlich hochkonzentriert und wirkte sehr angespannt. Der Mann kam wesentlich souveräner rüber.
Mein Eindruck direkt nach den Gesprächen: Sie ist gut, er ist top. Eigentlich war die Sache für mich klar.
Aber die standardisierten Interviews mussten ja noch verschriftlicht werden. Also setzte ich mich hin und fing an, meine Notizen in die Matrix zu übertragen. Und wie ich so tippte, wurde mir klar: Ich hatte mich geirrt. Sie war ihm fachlich deutlich überlegen, sie wusste unheimlich viel, ihre Antworten waren voller Fakten gewesen. Er konnte sich besser verkaufen, konnte besser (Geschichten) erzählen. (Er arbeitete für die Regierung und führte Verhandlungen – der hatte bestimmt das eine oder andere Rhetoriktraining hinter sich.)
Kannst Du erkennen, welche Skills (soft & hard) ich mit dieser Geschichte vermittelt habe?
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