Danzig & Posen mit dem Zug

Letztes Jahr war ich zum ersten Mal in Polen: in Breslau und Krakau. Ich war damals schwer begeistert und wäre gerne direkt länger geblieben. Nun stand ein langes Wochenende vor der Tür und damit die Frage: wohin? Es sollte mit dem Zug erreichbar und nicht so teuer sein. Ideen habe ich ja meist viele, wenn es um das Reisen geht. Leider war ich spät dran mit den Planungen und die Zugtickets allesamt schon ziemlich teuer. Aber Moment, nach Danzig kam ich für 68 € im Nachtzug.

Gebucht.

Fünf Tage in Danzig und Umgebung zu verbringen, stellt kein großes Problem dar. Ich wollte allerdings tagsüber zurück nach München fahren, und der Verbindung ging über Posen … Diese zweite Station auf der Reise konnte ich dann total rational begründen: Mit einem Zwischenstopp würde die tatsächliche Rückfahrt nur acht Stunden dauern.

Los geht’s: München – Danzig im Nachtzug

18 Stunden Reisezeit. Ich weiß auch nicht, was ich mir dabei gedacht hatte. Noch dazu im Sitzwagen. Aber ich kann im Zug eh nicht oder nur wenig schlafen. Da lohnt es sich nicht, 250 € für einen Platz im Schlafwagen auszugeben.

Abfahrt auf Gleis 5, also vom Holzkirchener Flügelbahnhof. Auf Gleis 5 war ich in den fast 30 Jahren, die ich schon in München lebe, noch nie. Der Zug war auch deutlich kürzer als die Nachtzüge, mit denen ich sonst so unterwegs gewesen bin.

Falsche Richtung, aber der Zuglauf stimmt.

Unser Sitzwagen war immerhin ein 1.-Klasse-Wagen mit viel Beinfreiheit. Aber leider hatte mir das Reservierungssystem einen Platz am Vierer zugelost. Dort saß schon jemand. Ob wir vielleicht den Platz tauschen könnten, damit er neben seiner Frau sitzen könne? Ach so, na klar. So hatte ich schon mal bis Wien einen Platz ohne direkten Gegenüber.

„Es wird nicht so voll“, meinte der DB-Schaffner, „bleiben Sie einfach sitzen.“ Von wegen. Ab Salzburg war der Zug richtig voll. In Wien stiegen zwar die ganzen Österreicher aus, dafür jede Menge Polen ein, und es war wieder alles voll. Der Vierer natürlich auch. Und mein Sitznachbar ragte deutlich über seinen Sitz hinaus. Drei Reihen weiter quietschten zwei hyperaktive Kleinkinder rum.

So war an Schlaf natürlich erst recht nicht zu denken. Immerhin bekam ich viel von der Landschaft und dem schönen Sonnenaufgang mit. 🥴

Blick auf die Weichsel in Warschau.
Willkommen in Warschau.

Schließlich rollte der Zug pünktlich in Warschau-Wschodnia ein – die letzten 10 Minuten hatte ich den Vierer sogar ganz für mich gehabt! Eine Stunde Umsteigezeit.

Nicht der schönste Bahnhof auf dieser Reise …

Dank Google Maps machte ich eine kleine Bäckerei ausfindig, so dass ich gestärkt in den EIP (Express Intercity Premium – wie ICE, aber es gibt eine kostenlose Flasche Wasser) nach Danzig steigen konnte. Ich hatte noch überlegt, in Malbork auszusteigen und die dortige Marienburg, die größte Burg der Welt, zu besichtigen. Aber das muss leider bis zum nächsten Besuch warten.

Erste Eindrücke von Danzig

Mehr als einmal dachte ich: Oh, das ist aber hübsch hier!

Mit Schlössern hatte ich gerechnet, mit Fachwerk eher nicht.

Beim Anblick des Danziger Hauptbahnhofs war ich erstmal überrascht. Aber es war auch ein guter Vorgeschmack, denn viele Gebäude in der Danziger Rechtsstadt sind im Stil des niederländischen Manierismus erbaut.

Der Danziger Hauptbahnhof von den Gleisen aus gesehen.

Umso erschreckender ist es dann übrigens, wenn man den Busbahnhof sieht, der direkt hinter dem Bahnhof liegt. „The ugliest building in Gdansk“, wie ein Guide es naserümpfend ausdrückte.

Vor dem Bahnhof wartet gleich eine Erinnerung an das Unwesen, dass die Deutschen nicht nur, aber gerade auch in Polen getrieben haben: die Skulptur Kindertransport – Die Abreise. Schluck.

Kindertransport – Die Abreise; Bronzeskulptur vor dem Hauptbahnhof von Danzig.

Es sollten noch weitere Erinnerungen folgen.

Nach einer ersten Portion Piroggen zum Mittagessen – lange Warteschlangen vor dem Lokal – ließ ich meinen Plan, direkt ins Bernsteinmuseum zu gehen, sausen und bewegte mich lieber nach und nach in Richtung meiner Unterkunft. Denn die Sonne lachte – so halbwegs – und ich wollte noch eine Bootsfahrt unternehmen. Also schnell die Tasche abstellen und los zum Bootsableger auf dem Werftgelände.

Danzig vom Wasser aus

Das Angenehme an Danzig ist ja, dass die meisten touristisch interessanten Orte doch recht nah beieinander liegen. So war ich auch innerhalb von etwa 15 Minuten in der Nähe der Abfahrtstelle von Galar Gdansk. Bis ich diese dann allerdings eingekreist hatte, vergingen nochmal zehn Minuten. Das sah auf Google irgendwie leichter zu finden aus. 😅

Das Setting ist dann fast so ein bisschen bizarr. Denn es dudelt Loungemusik, während direkt gegenüber Kräne stehen und Schiffe, die garantiert keine touristischen Zwecke erfüllen, liegen. Danzig hat halt immer noch einen bedeutenden Hafen.

Holzboote von Galar Gdansk am Steg.

Die Rundfahrt war eine sehr gute erste Einstimmung. Mit den kleinen Booten kommt man auch in engere Kanäle und unter niedrigen Brücken hindurch. Die alten, sternförmigen Befestigungsanlagen am südlichen Ende der Speicherinsel hätte ich ohne diese Tour nicht gesehen.

Am Ende der Tour kann man sich am nördlichen Ende der Rechtstadt absetzen lassen und ist gleich mitten im Getümmel.

Ich lief an der waterfront entlang und bog durch irgendein Tor ab … und da waren sie, die berühmten Fassaden.

Kurz darauf stand ich auch in der kleinen Mariacka-Straße mit den Terrassen und Wasserspeiern …

Terrassen und Wasserspeier in der Mariacka-Straße in Danzig.

… und für viel mehr war ich dann einfach zu müde.

Erster Tag: Stadtrundgang, Museum, Konzert

Nach einer schlaflosen Nacht schlafe ich in der darauffolgenden meist wie ein Stein. So auch in Danzig. Zum Glück ging der Stadtrundgang erst am späteren los. Also erstmal frühstücken und dann ziellos durch die Gassen streichen.

Inzwischen weiß ich ja diese free walking tours sehr zu schätzen. Die Guides sind in der Regel sehr motiviert und kennen sich gut aus. Beides traf auf Tufi definitiv zu, der uns auf eine wilde Reise durch die tausendjährige Geschichte Danzigs mitnahm („Main Town Gdansk“ bei Walkative). Und mir wurde mal wieder klar, wie groß meine Wissenslücken eigentlich sind. Dass der Zweite Weltkrieg mit dem Überfall auf Polen begonnen hatte, wusste ich ja. Aber dass das in Danzig geschehen war, wusste ich nicht. Jetzt wurde mir auch klar, warum ich überall Touren und Boote zur Westerplatte sah. Und warum im polnischen Postamt um die Ecke von meiner Unterkunft eine Museum war.

Nach dem Mittagessen ging ich ins Museum über den Zweiten Weltkrieg. Wenn wir schon beim Thema waren … Es war zwar schon 15 Uhr, aber drei Stunden würden ja wohl reichen.

Das Museum über den Zweiten Weltkrieg in Danzig.

Von wegen. Da kann man gut einen ganzen Tag verbringen. Um kurz vor 18 Uhr erging der Hinweis, dass das Museum in 15 Minuten schließe – und wir hier ungefähr die Hälfte der Ausstellung hinter uns gebracht hätten. Es dauerte dann auch noch gute fünf Minuten, durch die restlichen Räume einfach hindurchzulaufen.

Zu diesem Zeitpunkt qualmten mir schon die Füße. Aber ich hatte ja noch einen weiteren Programmpunkt: ein Konzert in der Ostsee-Philharmonie, das um 19 Uhr anfing. Draußen war es ziemlich ungemütlich. Die Philharmonie liegt auf einer Insel ganz in der Nähe des Museums. Es wurde dann aber doch noch ein 45-minütiger Fußmarsch dorthin, denn die nahe Fußgängerbrücke war nicht begehbar, was einen langen Umweg bedingte … Umso schöner, in dem kleinen Konzertsaal in den Sessel zu sinken. Und die Stimmung war ohnehin grandios.

Riesenrad, GDANSK-Schriftzug und Ostsee-Philharmonie bei Nacht.

Zweiter Tag: geänderte Pläne

Eigentlich hatte ich ja nach Gdynia und Sopot fahren wollen. Aber dann war es wieder so ungemütlich und kalt draußen, dass dieser Ausflug nun leider doch noch warten muss. (Es ist ja immer praktisch, einen Grund zu haben zurückzukommen.) Stattdessen ging ich zunächst in die Brigitten-Kirche. Hier gibt es in der Krypta Totenschädel. Ach ja, und einen noch im Bau befindlichen Altar aus Bernstein.

Bernsteinaltar in der Brigittenkirche in Danzig.

Wenn dieser Altar mal fertiggestellt ist, wird hier wohl mehr Bernstein verbaut sein als im Bernsteinzimmer. Aktuell sind es schon über 840 kg.

Das reichte mir natürlich noch nicht, also ging ich am Nachmittag noch ins Bernsteinmuseum. Dieses ist in der Alten Mühle untergebracht. Von außen sieht die Mühle aus, als stünde sie seit Jahrhunderten unverändert dort. Von innen sieht sie aus wie eine Hülle. Denn sie wurde wie fast jedes Gebäude in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts wieder aufgebaut. Dabei wurde Danzig während des Kriegs gar nicht so stark beschädigt. Aber die Sowjets haben dann fast alles zerstört, als sie die Stadt erreichten. Das Museum ist jedenfalls echt ganz gut gemacht.

Die Kleine Mühle (Mały Młyn) in Danzig.
Die Große passte nicht aufs Foto, daher hier die Kleine Mühle (Mały Młyn).

Inzwischen hatte es draußen deutlich aufgeklart, sehr erfreulich. Also, was macht man, wenn die Sonne lacht? Man geht ins Café. Wobei ich das Unterfangen auch fast abgebrochen hätte, weil die Damen vor mir wirklich überhaupt nicht mit ihrer Bestellung fertig wurden … Aber die kleinen Küchlein lachten mich sehr verlockend an. Und es hat sich wirklich gelohnt. Sehr lecker.

Auf einem Cafétisch stehen ein kleines Küchlein sowie eine Teekanne und Tasse.
„Honey cake“ sagte die Dame an der Theke etwas herablassend. Schmeckte göttlich.

So gestärkt marschierte ich zur Marienkirche. Aussichtsplattform. 408 Stufen. Ja, das wusste ich vorher. Ich bilde mir ein, etwas weniger gekeucht zu haben als andere. Oben war es trotzdem ziemlich voll.

Blick auf die Dächer von Danzig von der Aussichtsplattform der Marienkirche.

Und dann war es schon wieder Zeit für die zweite walking tour: die Nazi Terror Tour. Die Freie Stadt Danzig war politisch voll auf Linie, bereits einen Tag nach dem Überfall auf Polen nahm in Stutthof das erste (spätere KZ-) Lager seinen Betrieb auf. Die Große Synagoge wurde 1939 zerstört, der Großteil der jüdischen Bevölkerung konnte aber emigrieren.

Dritter Tag: Werft und weg

An meinem dritten Morgen in Danzig war der kurze Kälteeinbruch vorbei. Die Sonne lachte, als hätte sie was gutzumachen. Perfekt für einen letzten Rundgang durch die Stadt, in der um kurz nach 8 nur einige wenige Touristen unterwegs waren.

Mein Zug nach Posen ging erst um kurz nach 14 Uhr, also war noch genug Zeit für die Gdańsk Shipyard Uncovered Tour. So erschreckend wenig ich über polnische Geschichte weiß, hatte ich wenigstens von Solidarność schon gehört. Dass es bereits 1970 Aufstände mit Toten gegeben hatte, hatte ich hingegen nicht mitbekommen.

Das Eingangstor zur Danziger Werft, dahinter das Gebäude des Europäischen Zentrums für Solidarität.

Sonntags auf dem Werftgelände unterwegs zu sein, hat übrigens auch den Vorteil, dass man sich etwas freier bewegen kann. 😉 Nur in Sala BHP, wo die Verhandlungen zwischen dem Streikkomitee und der Regierungskommission stattfanden, die zur Gründung der Gewerkschaft führten, waren wir nicht willkommen: Hier fand ein Schachturnier statt.

Hier gibt es mehr praktische Tipps für Danzig.

Nach Posen

Der Bahnhof war fußläufig, unterwegs gab es eine georgische Bäckerei, die neben Khachapuri auch Estragonlimonade führte. Es konnte kaum besser werden. Aber zunächst wurde es voll. Der Bahnsteig quoll schon fast über, im Zug gab es schnell nur noch Stehplätze. Nicht nur die Deutsche Bahn, auch PKP hat Probleme, die Sitzplatzreservierungen anzuzeigen. 😉 Abgesehen davon verlief die Fahrt ereignislos. Die Landschaft: flach. Öfters fühlte ich mich an meine Mutter, die nach ihrer Reise nach Polen immer „So ein weites Land!“ gesagt hatte.

In Posen hatte ich zunächst Orientierungsprobleme. Sollte der Bahnhof nicht in/hinter/bei einem Einkaufszentrum sein? Irgendwie hatte ich den falschen Ausgang genommen und irrte erstmal durch einen langen, menschenleeren Tunnel. Doch Google schaffte es doch noch, mich zu einer Tramhaltestelle zu lotsen. Dort rollte zeitgleich die Linie 20 ein: die Nostalgietram auf der Touristenlinie, die im Sommer immer an den Wochenenden fährt. Ich war entzückt.

Blick ins Innere einer Nostalgietram der Linie 20 in Poznan; im Vordergrund die spezielle Fahrkarte.

Fahrkarten gibt es eigentlich am Automaten, auf dieser Linie werden sie aber noch von Hand von einer Schaffnerin in Uniform verkauft. Kartenzahlung ging zum Glück auch.

Nostalgietram der Linie 20 in Posen.

Leider war ich nach zwei Haltestellen bereits am Ziel und bis dahin aber schon ganz verliebt in Posen. Also schnell den Rucksack im Apartment abstellen und wieder los!

Ziegen und Croissants: Ein Tag in Posen

Um es gleich vorweg zu nehmen: Ein Tag reicht natürlich nicht aus. Drei hätte ich locker rumgebracht.

Es gibt zwei Dinge, denen man sich in Posen nicht entziehen kann: Da sind zum einen die Ziegen und zum anderen die Croissants. Die Ziegen treten zweimal täglich auf dem Rathausturm in Aktion und sind an mindestens drei Orten in der Stadt künstlerisch verewigt.

Graffiti der Posener Ziegenböcke

Die Croissants, eine Mahlzeit für sich, gibt es in ausgewählten Bäckereien. Im Croissant-Museum kann man sogar beides verbinden. Ich schaffte es tatsächlich, mich mit dem Croissant bis zum letzten Tag zurückzuhalten. Auf die Vorführung im Museum musste ich leider verzichten – Englisch nur am Wochenende.

St.-Martins-Croissant der Bäckerei Hanna Piskorska.
Nicht nur am Martinstag ein Genuss.

Es wurde aber auch so nicht langweilig. Mein Stiefvater hatte Posen als „Zeitverschwendung“ bezeichnet – what?! Im Gegenteil!

Während die Große Synagoge in Danzig übrigens komplett zerstört wurde, diente die in Posen mal als öffentliches Hallenbad und verfällt aktuell leider. 🙁 Sie steht am Nordende der Altstadt, dort, wo auch die alte Stadtmauer verläuft.

Wieder aufgebaut wurden hingegen die schönen Gebäude der Altstadt. Dort, über die Dominsel, den Stadtteil Śródka und das kaiserliche Poznan musste ich leider – versorgt mit zwei Audioguides – etwas hetzen.

Das Mural Śródka bildet eine Stadtlandschaft fast in 3D ab.

Und da ich an einem Montag dort war, waren leider ausnahmslos alle Museen geschlossen. Aber die Kirchen waren geöffnet.

Schrägansicht des Altars der Stanislaus-Kirche in Poznan.
Viel für’s Auge gibt es in der Stanislaus-Kirche.

Hier gibt es mehr Tipps für Posen.

Rückfahrt mit Hindernissen

Dass diese Reise so schnell zu Ende ging, fand ich ja schon mal grundsätzlich doof. Am letzten Morgen huschte ich noch schnell ins Archäologische Museum, rüstete mich dann mit einen Croissant und zwei exzellenten Khachapuris aus und näherte mich dem Hauptbahnhof. Diesmal erwischte ich den Zugang durch das Einkaufszentrum.

Aha, der Zug hatte 25 Minuten Verspätung. Dann 30, schließlich 40. So sah ich doch noch mehr von dem Einkaufszentrum als erhofft. Es gibt da ganz nette Sitzecken … Als der Zug endlich einfuhr, wurde uns dann auch mitgeteilt, dass er nicht an einem anderen Bahnsteig ankommen werde. Natürlich kam die Durchsage nur auf Polnisch … Das Adrenalin reichte dann fast bis zur deutschen Grenze.

Ich komme trotzdem wieder.

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