Fehler

Du hast einen Fehler gemacht!

Wer macht schon gerne Fehler? Und wird dabei auch noch ertappt?

Zu Sabrina Linns Blogparade zum Thema Fehler und Scheitern können sich sicher die meisten Menschen äußern. Ich habe schon einen Text über das Scheitern beigetragen, jetzt sind die Fehler dran. Insbesondere geht es mir hier um den Umgang mit Fehlern und das Thema Verantwortung.

Es soll in diesem Text um (Alltags-) Fehler gehen, bei denen niemand ernsthaft zu Schaden kommt. Gemeint sind hier also nicht Menschen, die betrunken ins Auto steigen und Unfälle verursachen, sondern Dinge, die „nur“ ärgerlich sind.

Warum finden wir Fehler so schlimm?

Wegen des Urteils.

Entweder wir verurteilen uns selber, oder andere verurteilen uns. Manchmal auch beides. Und dann laufen wir mit diesem unsichtbaren Mal herum und glauben, jeder kann es sehen und lacht über uns oder tratscht oder hält uns für dumm. (Da sind wir dann auch schon wieder voll bei der Sichtbarkeit, dem Thema der Blogparade von Sabine Beck.) Das wird natürlich umso schlimmer, je mehr man selber mit dem Hochstapler-Syndrom und/oder Perfektionismus zu kämpfen hat.

Im Beruf sind mir allerdings auch öfter Menschen begegnet, die für ihren Job schlichtweg nicht geeignet waren. Sie hatten kein Hochstapler-Syndrom, sondern waren echte Hochstapler. Daher lebten sie in ständiger Angst, aufgrund ihrer faktischen Inkompetenz einen Fehler zu machen und dadurch aufzufliegen.

Sind unsere Fehler wirklich so schlimm?

Die eigenen Fehler kommen einem ja häufig monströs vor. Oder andere finden sie monströs. Aber sind sie das wirklich immer?

Meine Ex-Chefin Anna fragte immer, wenn jemand einen Fehler gemacht hatte: „Did anybody die?“ Ist jemand gestorben? Bei uns war das nicht der Fall, aber in einem ihrer früheren Jobs, als sie mit psychisch kranken Menschen zu tun hatte, lautete die Antwort gelegentlich „ja“.

Aber grundsätzlich ist das ein guter Standard, um die Dimension eines Fehler einschätzen zu können, finde ich. Und in den meisten Fällen stirbt ja auch wirklich niemand. Solange man nicht gerade unabsichtlich einen Atomkrieg ausgelöst hat, sind die Konsequenzen der eigenen Fehler häufig überschaubar. Auch wenn sie im Kontext vielleicht überwältigend wirken.

Ein Beispiel für die Sache mit der Perspektive und dem Kontext. In einem Job habe ich mal für ein Projekt jemanden in einer anderen Organisation angesprochen, den ich nicht hätte ansprechen dürfen. Kontakte zu dieser Organisation durften ausschließlich von einer bestimmten Abteilung bei uns ausgehen. Ich wusste das nicht; als man es mir sagte, dachte ich erst, das solle ein Witz sein. Nein, es war todernst gemeint. Meine Eigeninitiative stellte somit ein echtes Problem dar. Als mir klar wurde, was ich da getan hatte, ging ich gleich zu meinem Chef, einem eigentlich sehr besonnenen Mann. Er war sichtlich schockiert. Als wäre jemand gestorben.

Aus Sicht meines Arbeitgebers, einer extrem bürokratischen und prozessorientierten Organisation, hatte ich einen Monster-Fauxpas begangen. Aus meiner ergebnisorientierten Sicht hatte ich versucht, auf kurzem Dienstweg ein Ergebnis zu erzielen (erfolgreich übrigens), und dadurch eine wichtige interne Regel verletzt. (Ehre, wem Ehre gebührt – mein Chef musste sich da sicher einiges von der anderen Abteilung anhören. Er hat die Sache mir gegenüber nie wieder erwähnt und mir nie Vorwürfe gemacht.)

Woher kommt dieser Horror vor Fehlern?

Der Umgang mit Fehlern

Der Fehler an sich ist aus meiner Sicht nicht das Problem. Denn jeder macht mal einen Fehler. Wichtig ist hingegen ein konstruktiver Umgang mit Fehlern. Das wird aus meiner Sicht viel zu wenig geübt und praktiziert, weder auf der Mikro- noch auf der Makroebene. Alle Unternehmen erzählen was von Fehlerkultur, aber ich habe im Arbeitsalltag eine solche Kultur noch nie in Aktion erlebt. Vielmehr kommt es voll auf die Einzelpersonen an. Wenn sie nicht gelernt haben, souverän und konstruktiv mit ihren Fehlern umzugehen, wie sollen sie es dann mit ihrem Team umsetzen? Oder im Privaten ihren Kindern beibringen?

Bei uns zuhause

Fehler machen war in meiner Familie, genauso wie Scheitern, eigentlich keine Option. Auch wenn es immer hieß, „aus Fehlern wird man klug“ – keine Fehler zu machen, war auf jeden Fall vorzuziehen. Öfter wurde auch uns Kindern ziemlich klar signalisiert, dass wir einen (Verhaltens-) Fehler gemacht hatten – es wurde aber nicht unbedingt mit uns darüber gesprochen, was der Fehler war, warum es ein Fehler war, und was statt dessen von uns erwartet worden wäre. Das fühlte sich unangenehm an und ist für Kinder natürlich sehr verunsichernd und überhaupt nicht hilfreich.

Bei mir führte das zu zwei Dingen. Erstens bemühte ich mich, Fehler unbedingt zu vermeiden, weil ich sie als absolut schrecklich und peinlich empfand. Zweitens lernte ich keinen Umgang mit Fehlern. Als ich im Grundschulalter mal von einem anderen Kind sehr direkt mit einem Fehler konfrontiert wurde, wusste ich wirklich nicht, wie ich mich verhalten sollte. Es versteht sich von selbst, dass ich am liebsten gestorben wäre.

Irgendwann, und ich weiß nicht mehr, wann oder warum, muss ich beschlossen haben, die Sache anders anzugehen. Also nicht mehr so zu tun, als wäre nichts passiert, und zu hoffen, dass es keiner merkt, sondern den Fehler direkt anzusprechen und dazu zu stehen.

Zu seinen Fehlern stehen

Auch ich sage nicht gerne, dass ich was falsch gemacht habe. Aber das direkte Eingeständnis entschärft die Situation und macht es erheblich leichter, eine Lösung zu finden. Ich selber fühle mich auch besser: Statt mich dafür zu kasteien, dass etwas schiefgelaufen ist, kann ich mir auf die Schulter klopfen, dass ich das Rückgrat hatte, die Verantwortung zu übernehmen.

In vielen Fällen können Fehler ja auch ausgebügelt werden, insbesondere, wenn sie schnell genug bekannt werden. Ich habe mal in einem Projekt einen Fehler gemacht. Als es mir auffiel, bin ich sofort zu meiner Kollegin gegangen und habe es ihr gesagt. Sie war ganz schön wütend auf mich. Zu Recht, denn mein Fehler bedeutete unnötigen Mehraufwand für sie. Natürlich war es mir doppelt unangenehm: Nicht nur hatte ich etwas falsch gemacht, meine Kollegin brachte ihr Missfallen klar zum Ausdruck.

Aber wir haben uns hingesetzt und eine Lösung gefunden. Das ging, weil wir ein gutes Verhältnis hatten, einander vertrauten und auch, weil ich es gleich eingestanden habe. Wenn sie es später herausgefunden und ich womöglich auch noch versucht hätte, meine Schuld abzustreiten, wäre das anders gelaufen.

Ehrlich währt am längsten…?

Das klappt natürlich nur, wenn die Gegenseite mitspielt.

Mit Anfang 20 war ich Praktikantin in einer Personalabteilung. Zu bestimmten Firmenjubiläen gab es für die Mitarbeitenden Geschenke. Das war aufgrund akuten Personalmangels mir übertragen worden. In einem Fall verkalkulierte ich mich, das Geschenk war nicht rechtzeitig da. Ich kannte den Mitarbeiter nicht besonders gut, hatte aber schon ein paar Mal mit ihm gesprochen. Ich sagte ihm direkt, dass es mir total leid täte, aber ich hätte einen Fehler gemacht, sein Geschenk komme mit ein paar Tagen Verspätung.

Das sei nicht schlimm, sagte er. Ich brachte noch mehrfach mein (ernst gemeintes) Bedauern zum Ausdruck und war erleichtert, dass er es so entspannt nahm.

Einige Tage später holte dieser Mitarbeiter sein Geschenk ab. Plötzlich war es doch ein Problem, dass es verspätet war. Ich entschuldigte mich erneut, sagte, es sei mein persönlicher Fehler gewesen. In den kommenden Wochen teilte er mir noch mehrfach mit, dass er wirklich sehr enttäuscht sei.

Vermutlich war mein Fehler einfach eine gute Gelegenheit für ihn, seiner generellen Frustration über seinen Arbeitgeber Ausdruck zu verleihen. Als Praktikantin war ich dafür die falsche Ansprechpartnerin, aber wenigstens ein soft target. Und so waren wir am Ende beide frustriert. Hätte ich behauptet, das Geschenk sei beschädigt worden und werde deshalb erneut beschafft, wäre die Sache sicher anders gelaufen.

Verantwortung! Verantwortung?

Zentral beim Umgang mit Fehlern und beim menschlichen Tun allgemein ist aus meiner Sicht, dass man die Verantwortung dafür übernimmt. (Unbeachtet bleiben soll an dieser Stelle, dass sich viele Fehler auch vermeiden ließen, wenn beispielsweise in einem Team jeder ein bisschen Verantwortung übernähme und genauer aufpasste.) In letzter Zeit begegne ich immer wieder Menschen, die damit ein riesiges Problem haben, die einfach keine Verantwortung übernehmen können oder wollen. Hier nur drei Beispiele.

Die Kollegin

Da war diese Kollegin, die ganz viel machen wollte, aber panische Angst vor Fehlern hatte. Deshalb konnte sie weder Entscheidungen treffen noch Verantwortung übernehmen. Sie stieß Projekte an und warf sie dann ungebeten anderen Leuten auf den Tisch, auf dass diese sie zu Ende brächten. Gleichzeitig führte sie Buch über unser aller Verfehlungen. „Es scheint ja meine Aufgabe hier zu sein“, teilte sie mir mal in ziemlich hochmütigem Ton mit, „eure ganzen Fehler zu finden. Und ihr macht viele Fehler!“ Warum niemand im Team sie mochte, konnte sie sich nicht erklären.

Der eine Chef

Der eine Chef stand zwei Jahre vor der Pensionierung. Er zitterte beim Gedanken, dass ihn auf der Zielgeraden noch etwas zu Fall bringen könnte. Wer viel arbeitet, macht viele Fehler; wer viele Fehler macht, wird nicht befördert (oder gleich gefeuert). Daher machte er einfach gar nichts, las den halben Tag Zeitung und schrieb endlos lange, aber inhaltsfreie E-Mails, um zu zeigen, wie wahnsinnig beschäftigt er war. Es war ihm (uns!) beim besten Willen nicht möglich, ein weiteres Projekt zu übernehmen. Ich langweilte mich derweil fast zu Tode, weil ich nichts zu tun hatte.

Ironischerweise war es dieser Chef, der mich mit dem Spruch „Success has many fathers, failure dies a lonely bastard“ bekannt machte. Der Erfolg hat viele Väter, aber das Scheitern stirbt einsam.

Der andere Chef

Der andere Chef wollte überall mitmischen, aber nichts tun. Und vor allem wollte er für nichts zur Rechenschaft gezogen werden können. Die wichtigste Frage für ihn war „Wie lässt mich das dastehen?“ Einerseits versteckte er sich vor uns, damit wir ihn nichts fragen konnten (er hätte ohnehin keine Antwort gehabt). Andererseits überfiel ihn regelmäßig Panik, dass wir doch sicher alles falsch machten und damit seine Karriere gefährdeten. Gerne schuf er auch Probleme, die eigentlich gar keine waren, und beauftragte dann andere Leute mit deren Lösung.

Dass er uns alle ohne zu zögern den Haien zum Fraß vorgeworfen hätte, um seine eigene Haut zu retten, stand außer Frage. Niemals hätte er für einen eigenen Fehler die Verantwortung übernommen oder sich gar schützend vor sein Team gestellt. Hätten wir uns schützend vor so einen tollen Chef gestellt? Wohl kaum.

Und der Arbeitgeber?

Die jeweiligen Arbeitgeber machten – nichts. Sie stahlen sich ebenso aus der Verantwortung wie Kollegin und Chefs. Beschwerden aus dem Team, verminderte Produktivität, verschwendete Zeit, Kündigungen, alles egal. Alles besser, als in die Konfrontation gehen zu müssen. Das machte natürlich überhaupt nichts besser.

Und das ist doch der eigentliche Fehler.

Fazit

Aus Fehlern wird man klug, das stimmt natürlich. Hätten unsere frühesten Vorfahren schon einen derartigen Horror vor Fehlern gehabt, säßen wir wohl heute noch in Höhlen. Denn für die menschliche Evolution ist es wichtig, nach Verbesserung zu streben und Veränderungen aktiv einzuleiten. Das geht auch immer mit Fehlern – trial & error – einher. Fehler sind wichtig, um zu lernen und um es besser zu machen.

Vielleicht wäre es also an der Zeit, die eigenen Fehler etwas lockerer zu sehen.

Ich möchte jetzt nicht dafür argumentieren, ständig alle Fünfe gerade sein zu lassen. Die mitunter weit verbreitete Haltung „weiß nicht, mir egal“ geht mir gehörig auf den Keks. Denn so kommen wir auch nicht weiter. Aber ich denke, es ist wichtig, seine eigene Einstellung zu Fehlern zu analysieren und zu überlegen, wo man sich und anderen gegenüber etwas Milde walten lassen kann. Und gleichzeitig zu überlegen: Welche Fehler sind wirklich wichtig? Was sind die echten Themen, die angegangen werden müssen? Nicht aus jeder Mücke muss ein Elefant gemacht werden, aber den tatsächlichen Elefanten sollte man Beachtung schenken. Sie tun sonst langfristig mehr weh als die kleinen Fehler.

5 Kommentare

  1. Liebe Julia,

    ich sage danke und WOW! Der Artikel ist richtig gut und ich habe mich bei deinen Beschreibungen, besonders auch aus dem Berufsleben, an so vielen Stellen wiedergefunden. Da gibt es so viel, dass ich gar nicht zitieren kann, aber ich bin auch der Meinung „Ehrlich währt am längsten“, auch wenn man dann gelackmeiert dasteht. Aber alles andere ist mir zu verlogen und crasht mit meinen Werten, auch wenn sich andere dann profilieren oder Dampf ablassen.

    Danke für die Gedanken und den tollen Überblick aus deinem (Berufs-)Leben,
    Sabrina

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