Noch ein spannendes Blogparaden-Thema in diesem Herbst! Nicole Isermann fragt: Geht unsere schöne Sprache den Bach runter?
Früher war bekanntlich alles besser, auch und insbesondere die Sprache. Das finden zumindest gerade konservativ-reaktionäre Kräfte, für die das Gendersternchen das Ende des Abendlandes einläutet. (Die Aufregung um das Gendern zeigt ja auch meiner Sicht, dass wir keine wirklich ernsthaften Probleme haben.)
Nun könnte man als erstes diskutieren, ob unsere Sprache überhaupt so schön ist. Ich habe von vielen Menschen mit anderer Muttersprache gehört, dass Deutsch so kalte und hart klinge. Aber das ist hier nicht das Thema. Vielmehr geht es um die Veränderungen in der Sprache. Die hat es schon immer gegeben. Lebensumstände verändern sich, die Menschen verändern sich, und sie verändern, wie sie sprechen und sich ausdrücken. Das ist richtig und wichtig – mit dem Vokabular von 1517 (als Luther seine Thesen an die Wittenberger Schlosskirche schlug) kämen wir heute nicht weit.
Natürlich verändert sich auch die deutsche Sprache laufend. Ich weiß noch, wie schockiert die Erwachsenen waren, als Ende der 1980er Jahre plötzlich das Wort „geil“ salon- bzw. kinderzimmerfähig wurde. Noch Jahre später holte ein Freund von mir sehr tief Luft, als ich ihm sagte, dass seine (damals noch kleinen) Kinder bald auch so sprechen würden. Heute redet er genauso.
Es geht ja nicht nur uns so. Selbst Latein hat nicht in seiner Reinform überlebt, sondern bestenfalls als Italienisch und Französisch. Die traditionsbewusstesten Bewohner*innen Englands sprechen nicht mehr wie Shakespeare, und Franzosen sind schockiert über das in Québec gesprochene Französisch. (Das Québecois verwendet noch wesentlich mehr alte französische Begriffe verwendet, beispielsweise „char“ statt „voiture“ für „Auto“ – „char“ is abgeleitet von „chariot“, also „Kutsche“. Diesen und weitere Unterschiede beschreibt ein schöner Artikel im Economist – sehr spannend gerade, weil ja sowohl Franzosen als auch Québecer so auf ihre eigene „reine“ Kultur pochen.)
Aber natürlich bin ich auch nicht von jeder sprachlichen Veränderung begeistert. Was mich zum Beispiel nervt:
Alter, Digga etc.
Überhaupt, diese ganzen Füllwörter. Machen einfach nur den Satz unnötig lang. Manches wäre leichter, wenn die Menschen mehr darüber nachdächten, was sie sagen wollen, als einfach drauflos zu plappern.
Nun hat die Verwendung von Wörtern wie Alter und Digga bekanntlich auch weiterreichende, soziale Bedeutung. Die derart Bezeichneten sind ja meist weder alt noch dick. Das ist mir alles klar. Und es ist ja auch völlig in Ordnung, den schlanken Kumpel als „Digga“ zu bezeichnen, um damit seine freundschaftliche Zuneigung auszudrücken. Aber wenn das nach jedem dritten Wort geschieht, weiß doch niemand mehr, was eigentlich gesagt wurde.
Im Englischen gibt es das übrigens auch. „Like“ wird in bestimmten Altersgruppen exzessiv verwendet. Es bedeutet hier nicht „mögen“, sondern ist das englische Äquivalent zu „also“. Kann, like, beliebig, like, oft in einen, like, Satz, like, eingebaut werden und trägt, like, exakt nichts bei. Drückt nicht mal eine zwischenmenschliche Beziehung aus.
& more
In den frühen 2000er Jahren fiel mir zum ersten Mal auf, dass plötzlich diverse Geschäfte sich mit dem Zusatz „& more“ bzw. „& mehr“ schmückten. Anfangs war es nur der Copyshop, den wir in der Arbeit nutzten (sinnigerweise Copy & more genannt), später wurden es immer mehr Unternehmen in ganz unterschiedlichen Branchen. Was genau dieses „mehr“ sein sollte, blieb und bleibt im Dunkeln.
Natürlich ist „& more“ knackiger als „und verwandte Waren bzw. Dienstleistungen“. Aber es ist auch völliger Unsinn und, aus meiner Sicht, werbetechnisch idiotisch. Gerade auf einer Markise gesehen: „Café Konditorei Eis Eatery & more.“ Was soll dieses „mehr“ sein, sag es mir halt?!
Entweder dampfe ich meine Produkte oder Dienstleistungen so runter, dass ich sie in wenigen Begriffen zusammenfassen kann, oder ich muss mir einen sinnvolleren Namen für mein Business ausdenken als „Gemüse & mehr“.
Sinnentleerte Slogans
Ich meine diese Sprüche, die bei kurzem Hinsehen flott klingen, aber rein gar nichts aussagen. Man sieht sie ziemlich häufig auf den Transportern von Handwerkern. Meistens ist es irgendeine Kombination aus Worten wie „Qualität“, „Kompetenz“ und „Vorteil“, beispielsweise „Unsere Qualität ist Ihr Vorteil“.
Ich würde doch sehr hoffen, dass ein Meisterbetrieb Qualität liefert. Das sollte kein Vorteil für mich sein, sondern eine Selbstverständlichkeit. So weit, so gähn.
Aber manchmal lese ich auch Sachen wie „Ihr Vorteil ist unsere Kompetenz“. Da hat jemand gut in der Marketing-Masterclass zugehört: Super wichtig, die potentielle Kundschaft immer sofort und direkt anzusprechen! Leider weiß die Kundschaft mit so einem Schwachsinn nichts anzufangen.
Jetzt ___ absahnen!
Immer und überall gibt es was abzusahnen, beim Discounter, Möbelhaus, Elektronikgiganten. Man muss nur schnell sein und JETZT zuschlagen!
Erst richte ich mein ganzes Marketing auf die Raffgier im Menschen aus, dann wundere ich mich, dass keiner meine regulären Preise zahlen will.
Du
Die Dinge ändern sich, die Gesellschaft wird offener (Gott sei Dank – auch wenn rezente Landtagswahlen anderes vermuten lassen). Auch der Umgang mit Mitmenschen wird entspannter. Als meine Mutter in meinem Alter war, hätte sie niemals Gleichaltrige, die sie neu kennenlernt, geduzt.
Aber muss das auch außerhalb des Privaten so forciert werden? Im Job, im Geschäft ist doch vieles leichter, wenn man erstmal beim Sie bleibt. Gerne denke ich da an einen Bekannten meiner Eltern, ob seiner guten Manieren Knigge genannt, der freundlich lächelnd zu bedenken gab, dass „Sie A****“ doch viel kraftvoller sei als „Du A****“.
Angefangen mit dem flächendeckenden Duzen hat ja, soweit ich mich erinnern kann, Ikea. Klar, in Skandinavien duzt man sich. „‚Sie‘ ist für die Königin“, erklärten mir Freundinnen damals in Dänemark. Ikea nutzt also seine Herkunft als markenbildendes Element und duzt seine Kundschaft. In Ordnung. Wenn’s denn sein muss. Bin ja bald wieder raus aus dem Geschäft.
Aber wenn ich beispielsweise in ein Hotel komme, gerade in eines mit mehreren Sternen, möchte ich dort an der Rezeption gesiezt werden. Ich übernachte schließlich nicht bei Freunden auf dem Sofa, sondern lege für meinen Aufenthalt mitunter ziemlich viel Geld auf den Tisch. Dafür hätte ich gerne etwas professionelle Distanz.
Noch krasser habe ich es mal bei einer Jobbewerbung erlebt. Gleich der erste Kontakt zur Terminvereinbarung erfolgte per Du und „Liebe Julia“. Bei der Absage wurde ich von derselben Person gesiezt. Das fühlte sich gleich doppelt doof an.
Hallo Julia,
obgleich ich #gerneperDu bin, mag ich im deutschsprachigen Raum beim Erstkontakt im Geschäftlichen wie im Privaten gesiezt werden bzw. Sieze selbst die mir noch unbekannte Person. Dem folgt meist bei gegenseitiger Sympathie ein zügiges Übergehen zum Du.
Bei einer geschäftlichen Anfrage vor einem Jahr habe ich erstmalig erlebt, dass ein wesentlich jüngerer Mann mich direkt wertschätzend geduzt hat. Ich war selbst überrascht, wie befremdlich ich das im ersten Moment gefunden habe. Mal sehen, ob wir es noch erleben, dass die Du-Ansprach im DACH-Raum zur Normalität wird.
Herzlichen Gruß aus Limburg
Manuela
der „Nervsprech“-Blog ist dir sehr gelungen. Ich will jetzt nicht auf alle Bereiche etwas anmerken, doch im Grunde hab ich mir Ähnliches vei allen Punkten auch schon gedacht. Beim Neuanfang in einer Firma sieze ich den Chef lieber. Das ist ein für mich wichtiger Schutz.
Manchmal, wenn ich im Stau stecke habe ich mir schön öfter über die Sinnhaftigkeit sinnentleerter Slogans Gedanken gemacht….sehr humorvoll geschrieben
Lieben Dank! 🙂