Wie gut sind KI-Übersetzungen? Update November 2024

Norbert Burger aus katholischem Duisburger Elternhaus erfährt mit 30 Jahren, dass er adoptiert wurde. Er nimmt seinen Geburtsnamen Raphael-Maria Goldstein wieder an und spürt seine leiblichen Eltern auf: die Auschwitz-Überlebende Esther Goldstein und Otto Frank. Das macht ihn nicht nur zum Juden, sondern zum Halbbruder Anne Franks.

Jahrzehnte später schreibt er seine Geschichte auf – und stirbt. Anja Scherz, eine Freundin seiner Witwe, begibt sich auf die Suche nach den Dokumenten in seinem Nachlass, die seine Herkunft beweisen. „Goldstein – ein phantastisches Leben“ erschien Anfang 2024 bei STROUX edition, und wie Anja zu sagen pflegt, nichts daran ist ausgedacht.

Ein tolles Buch, und das sage ich nicht nur, weil ich die Schlusskorrektur übernommen habe!

Der Auftrag

Nun soll der Titel ins Ausland verkauft werden. Ob ich die zu diesem Zweck per KI erstellte Übersetzung ins Englische prüfen könne, fragte mich Annette Stroux. Natürlich kann ich, schon allein, um zu schauen, was sich seit meinem Artikel Wie gut sind KI-Übersetzungen? (Juli 2023) geändert hat.

Das komplette Buch wurde per Deepl ins Englisch übersetzt. Anja wählte als Leseprobe einige Passagen aus, die einen guten Einblick in die Geschichte geben. Darunter sind sowohl Auszüge aus Burgers/Goldsteins Originalmanuskript als auch Auszüge von Anjas Beschreibung ihrer Recherchearbeit. Insgesamt handelt es sich um etwa 50 Seiten.

„Goldstein“ ist kein Sachbuch und entsprechend geschrieben. Burgers/Goldsteins Originalmanuskript trieft vor Pathos, ist langatmig und gelegentlich verworren. Anja spricht von sich selbst in der dritten Person und setzt als ausgebildete Journalistin gezielt und gekonnt Stilmittel ein, um eine bestimmte Atmosphäre zu schaffen. All dies stellt für eine Maschine natürlich eine erhebliche Herausforderung dar.

Die Übersetzung

Wie schon im vergangenen Jahr, machte Deepl genau das, was es verspricht: Es übersetzte den Text ins Englische. Leider war das Ergebnis alles andere als perfekt.

Insbesondere fiel mir auf:

  • Zeiten waren mitunter falsch übersetzt. Aus Imperfekt im Deutschen wurde im Englischen Präsenz.
  • Gerade bei komplexeren, verschachtelten Passagen, wenn es beispielsweise zwischen „Raphael-Maria“ (er) und „der Journalistin“ (sie) hin- und herging, hatte das Programm Probleme mit den Possessivpronomen. Da wurde aus „seine Mutter“ schon mal „her mother“. Offenbar hatte der Algorithmus beschlossen, dass da wohl ein Fehler im Original sei.
  • Auch mit der Übersetzung von „ihre“ hatte es Schwierigkeiten und konnte auch mit Kontext nicht immer auseinanderhalten, ob es sich um Singular oder Plural handelte: „ihre Eltern“ = „her parents“ oder „their parents“?
  • Idiome wurden nicht immer gut übersetzt. Aus „an der Nase herumgeführt“ wurde wortwörtlich „led around by the nose“ statt einfach „fooled“.
  • Mitunter wurde die Bedeutung verfälscht. „Ganz konsequent“ wurde zu „quite consistently“, was, zurückübersetzt, „halbwegs konsequent“ bedeuten würde.
  • Aus Adjektiven wurden schon mal Nomen: „beklommen“ wurde mit „trepidation“ übersetzt.
  • Aus verschiedenen Optionen für die Übersetzung wurde gelegentlich eine unpassende ausgewählt: „overflowing“ für „überflüssig“ statt „superfluous“ oder „irrelevant“.
  • Gelegentlich war der Satzbau völlig daneben, unabhängig vom deutschen Original: „He used me as a yardstick to measure his to soften the ‚business side‘.“ (Kursive Formatierung von mir hinzugefügt.)

Und natürlich: Der Stil wurde überhaupt nicht an die Zielkultur angepasst. So verwendet Anja häufig Sätze ohne Prädikat. Diese erfüllen im Deutschen hervorragend die Funktion, die Stimmung zu vermitteln. Im Englischen klingt die Übersetzung leider häufig, als wäre der/die Autor*in nicht in der Lage, ordentliche Sätze zu bilden. Natürlich ist Deepl ein Übersetzungsprogramm und kein Editor. Dennoch ist es wichtig, dies im Kopf zu behalten, statt sich einfach auf das Programm zu verlassen.

Mein Fazit: Ok, aber …

Ich bekenne: Ich bin verblüfft. Verblüfft, dass sich seit meiner ersten Überarbeitung von KI-Übersetzungen doch so wenig geändert hat. Eigentlich hatte ich angenommen, ich hätte diesmal weniger zu tun als im Juli 2023. Denn die Algorithmen werden ja ständig weiterentwickelt.

Und so bleibe ich bei meinem Fazit von damals. Für eine grobe und vor allem schnelle Übersetzung sind KI-Tools sehr sinnvoll. Das Ergebnis wird aber häufig noch Arbeit benötigen, um bei Muttersprachler*innen kein Stirnrunzeln hervorzurufen.

Je nach Komplexität und Stil des Ausgangstexts muss die Übersetzung also auf jeden Fall gegengelesen werden. (Ich mache das übrigens. 😉 Sprich mich gerne an, wenn Du Unterstützung benötigst.) Je sachlicher der Inhalt und die Formulierungen, je kürzer die Sätze, desto geringer wird die Anzahl der Korrekturen ausfallen. Aber sobald es persönlich und/oder emotional wird oder Sprache, Satzbau etc. bewusst eingesetzt werden, um mehr als Fakten zu vermitteln, ist mit einem erheblichen Korrekturaufwand zu rechnen.

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