Achtung, Esoterik! Zum Buch „Gefährlicher Glaube“

Foto des Covers von "Gefährlicher Glaube"

Anlass für diesen Artikel ist das Buch Gefährlicher Glaube. Die radikale Gedankenwelt der Esoterik von Pia Lamberty und Katharina Nocun (2024). Dieses habe ich auf Bitten meiner Freundin Verena gelesen, da sie gerne meine Meinung dazu hören wollte. Als ich damit fertig war, hatte ich das dringende Bedürfnis, darüber zu bloggen.

Gleich vorweg: Das Buch hat mich nicht begeistert. Es waren zwar einige neue Erkenntnisse und interessante Passagen dabei. Ich möchte auch die gute Intention der Autorinnen nicht in Abrede stellen. Inhaltlich war mir aber vieles bereits bekannt. Das ist schon mal ein Hinweis darauf, dass das Buch nicht so viele bahnbrechende neue Informationen bereithält. Bei vielen Themen hatte ich nicht den Eindruck, dass die Autorinnen direkte Erfahrungen gemacht haben mit dem, was sie beschreiben, sondern sich bei Drittquellen bedienen – und dort präferiert die besonders krassen „Beweise“ oder Fälle zum Einsatz kommen lassen.

Zwischen Einleitung und Fazit tummeln sich neun Kapitel. Diese behandeln unter anderem die Themen Ernährung, Medizin, Wissenschaft, Geschäftemacherei, Sekten und Rechtsextremismus. Zuletzt schließt sich ein Literaturverzeichnis („Quellenangaben“ wäre treffender) von fast 50 Seiten an. Das ganze Buch hat gut 300 Seiten, die ich hier nicht im Detail durchgehen kann. Also greife ich nur einige Aspekte heraus. Ich erhebe auch keinen Anspruch auf Wissenschaftlichkeit. Wo ich Wörter, die keine Zitate sind, in Anführungszeichen setze, dient dies der Betonung.

Alle Zitate und Seitenangaben entstammen der vollständigen Taschenbuchausgabe aus dem Quadriga Verlag (2024).

Schwarz-weiß oder grau? Grundsätzliches zur Esoterik und zum Buch

Das soll kein Artikel für oder wider Esoterik sein. Jede*r muss selbst entscheiden, was er/sie davon hält. Meine eigene Sicht auf das Thema ist fragmentiert und nicht immer konsequent. Ich glaube nicht an Horoskope, würde Krebs nicht mit Globuli heilen wollen, bin bei Homöopathie insgesamt skeptisch. Aber mit Familienaufstellungen habe ich sehr gute Erfahrungen gemacht.

Der Inhalt des Buchs

Mit Familienaufstellungen habe ich sehr gute Erfahrungen gemacht? Damit stehe ich aus Sicht der Autorinnen leider bereits auf der falschen Seite. Deren Blick auf das Thema ist total schwarz-weiß. Wer nicht absolut und komplett gegen Esoterik ist, ist verloren. Einmal Globuli geschluckt oder das Horoskop gelesen, schon ist man nicht mehr zu rationalem Denken und Urteilen fähig, wird Impfgegner und geht jedem Bauernfänger auf den Leim. Dagegen ist kein Kraut gewachsen (und erst recht keine Urtinktur). Ich fühlte mich beim Lesen öfter an meinen Religionslehrer in der 9. Klasse erinnert, der uns sagte, wer Yoga mache, sei anfälliger für Sekten. Yoga kriegt im Buch natürlich auch sein Fett weg (Rechtsextremismusgefahr!).

Entsprechend ihrer stark binären Sicht auf die Thematik urteilen die Autorinnen (die sich total im Recht und offenbar auch moralisch als klar überlegen sehen) sehr schnell. Wer sich für Esoterik interessiert, ist ihrer Meinung nach auf der Suche nach einfachen Lösungen für komplexe Probleme. Bäm! Da haben wir schön die Intellektuellenkeule rausgeholt. Leider ist es zutiefst menschlich, sich einfache Antworten zu wünschen und sich nicht mit komplexen Dingen befassen zu wollen. Denn das kostet viel Energie und ist soooo anstrengend! Daher schaut auch das schlaueste Gehirn nach der einfachen Antwort. Wird z. B. in Schnelles Denken, langsames Denken von Daniel Kahneman sehr schön dargelegt.

An mehreren Stellen hatte ich den Eindruck, bestimmte Begrifflichkeiten werden als „richtig“ oder „falsch“ betitelt, abhängig davon, wie es den Autorinnen in den Kram passt. „Ganzheitlichkeit“ ist so ein Thema, „Placeboeffekt“ ein anderes (über beide unten mehr). Eine Pharmalobby gibt es nicht (S. 89 ff.), ein Tabaklobby hingegen schon (S. 131).

Manches wirkt arg weit hergeholt. So wird mehrfach auf die Gefährlichkeit esoterischer Inhalte in Mädchenzeitschriften hingewiesen (z. B. S. 9, 16). Und richtig, weche von uns hat nicht mit 13, 14 Jahren mal was von Gläserrücken etc. gehört? Das wurde bei uns in der Stufe auch bestimmt mal ausprobiert. Und trotzdem ist keine von uns im Esoteriksumpf versunken. Denn das Ding ist: In den allermeisten Fällen wächst man da raus. Entwicklung nennt man das.

Wenn die Autorinnen fast eine ganze Seite im Buch Influencerinnen widmen, die Gesichtsroller verticken, und dort Esoterik wittern, dann kann ich nur noch mit dem Kopf schütteln. Das ist keine Esoterik, das ist Kapitalismus. Influencer wollen etwas verkaufen. Folglich schreiben sie in den Verkaufstext alles, von dem sie meinen, dass es bei ihrer Kundschaft gut ankommt. Copywriting nennt man das. Und wenn ihre Zielgruppe auf Wörter wie „Energie“ und „Heilstein“ abfährt, landen eben diese Wörter im Text. Wenn unsere Zivilisation am Jaderoller zugrunde geht, dann haben wir aber wirklich noch viel tiefergehende Probleme.

Und immer wird ominös aus dem Off geraunt: Gefahr im Verzug! Zum Beispiel die Ganzheitlichkeit. Gegen den Ansatz, Körper und Geist gemeinsam zu betrachten, wollen sich die Autorinnen wohl nicht grundsätzlich stellen. Trotzdem ist höchste Vorsicht geboten: „Allerdings kann der Begriff der Ganzheitlichkeit auch Tür und Tor öffnen für vollkommen evidenzfreie Behandlungen, die sogar gefährlich werden können – etwa wenn Krebs als geistige Blockade verstanden wird.“ (S. 23) Ja. Natürlich kann das passieren. Und es wird gelegentlich auch passieren. Aber es wird nicht bei 99 % der Bevölkerung passieren.

Wenn wir alles aus unserem Leben verbannen wollen, was uns vielleicht schaden kann, dann müssten so Sachen wie Alkohol und Autos sofort abgeschafft werden. Denn dadurch sterben jährlich mehr Menschen als durch unwissenschaftliche Krebsbehandlungen. Aber Alkohol und Autos sind ja nicht esoterisch, sondern handfest, also sauft ruhig weiter. Hauptsache, ihr lasst die Leberzirrhose dann nicht mit Globuli behandeln!

Auf S. 91-92 wird übrigens klar, dass sich die Kritik nur gegen die Ganzheitlichkeit in der Esoterik richtet. Die „normale“ Medizin ist bereits vorbildlich ganzheitlich (schade, dass sich das noch nicht bei allen Ärzt*innen herumgesprochen hat), die Esoterik hingegen inhärent nicht. Leider widersprechen die Autorinnen sich hier innerhalb eines Absatzes selbst, denn gerade haben sie noch zu bedenken gegeben, dass der Begriff Ganzheitlichkeit „die perfekte Projektionsfläche“ sei (S. 91). Wenn also jeder etwas anderes darunter versteht, wie kann man dann der Esoterik den Vorwurf machen, nicht ganzheitlich genug zu sein?

Der Stil des Buchs

Unabhängig vom Inhalt hat mich der Stil des Buchs ziemlich genervt. Über weite Teile klingt es wie eine empörte Seminararbeit, und als hätten sich die Autorinnen gesagt: Wir tragen jetzt einfach mal alle Argumente gegen Esoterik und alle haarsträubenden Beispiele zusammen, die wir finden können. Und dann machen wir ein Buch draus. (So wie damals eine Kommilitonin, die verkündete, aus 40 Seiten Zitaten nun eine Doktorarbeit bauen zu wollen.)

Leider wurde das Buch auch nicht besonders gut lektoriert, weshalb die Übergänge mitunter holprig sind. Es gibt Passagen im Buch, die über mehrere Seiten hinweg ein Thema behandeln. Dann wieder schlägt das Buch thematische Haken wie ein flüchtender Hase. Ich vermute, die längeren Passagen hatten die Autorinnen bereits zu anderen Zwecken, als Referat Vortrag o. ä., vorbereitet. Der Rest wirkt mitunter wie Füllmaterial und ist es vermutlich auch.

Ich habe mir ein, zwei der genannten Quellen angeschaut – das auf S. 22-23 referierte PDF „Esoterik und Narzissmus“ von Infosekta (abgerufen am 8. März 2025) ist schon im Original nicht toll geschrieben. Durch das Paraphrasieren für das Buch (um ein direktes und ziemlich langes Zitat zu vermeiden) wird die Qualität leider auch nicht verbessert.

Was mir außerdem beim Lesen aufgefallen ist: Es werden zwar immer Quellen genannt (wenn auch nicht ganz so dicht, wie das in einer wissenschaftlichen Arbeit erwartet werden würde). Diese sind aber häufig schon ziemlich alt, also zehn Jahre oder mehr, und beziehen sich in vielen Fällen nicht auf Deutschland. Manchmal bleibt die Quellenangabe auch sehr vage: Es ist nur von „einem Onlineforum“ die Rede oder von Videos „auf YouTube“. An anderer Stelle werden ungeprüft Beispiele aus Drittquellen übernommen (S. 77-78). So richtig wissenschaftlich ist das nicht. Ironisch bei einem Buch, das gegen alles wettert, was nicht total wissenschaftlich ist.

Was mich am meisten nervt …

… ist, dass die Autorinnen keine direkte Erfahrung mit den meisten Aspekten haben, die sie im Buch behandeln, aber mit dem moralischen Zeigefinger wedeln. Und dafür werden sie auch noch gefeiert. Mal gucken, was los ist, wenn ich als nicht-Gamerin demnächst einen Artikel gegen Ballerspiele schreibe.

Der Zeigefinger wäre ja noch zu verschmerzen, wenn konkrete Alternativen aufgezeigt würden. Das passiert aber nur selten bis gar nicht.

Wissenschaft

Als „Esoterik“ wird im Buch alles bezeichnet, was nicht wissenschaftlich bewiesen ist. Auch ich finde Wissenschaft super und bin dankbar für die vielen Fortschritte und Verbesserungen im Leben, die wir ihretwegen genießen. Und auch ich finde, wenn man eine Behauptung hört, kann man ruhig erstmal überlegen, ob die logisch klingt und/oder im Einklang mit der Wissenschaft ist.

Was die Autorinnen leider vernachlässigen, ist die Tatsache, dass die Wissenschaft sich in den vergangenen Jahrhunderten kontinuierlich weiterentwickelt hat. Auch Aderlass und Quecksilbertherapie waren ja mal state of the art. In Amerika hat man Kindern früher Heroin gegeben, um sie ruhigzustellen. Und das Wetter, so glaubte man lange, sei direkter Ausdruck von Gottes Laune. Schlechtes Wetter = Gott ist sauer auf die Menschen. Deshalb schüttet es in Shakespeares Macbeth die ganze Zeit wie aus Kübeln, besonders nach dem Königsmord. Heute wissen wir, dass hinter dem Wetter ein sehr komplexes System steht – das war früher genauso unvorstellbar wie die Erde als Kugel.

Und so erlaube ich mir die Frage, ob es nicht auch vorstellbar ist, dass bestimmte Dinge momentan wissenschaftlich nicht erklärbar sind, es aber in einigen Jahrzehnten doch sein werden.

Gesundheit

Das Thema Gesundheit wird im Buch sehr ausführlich behandelt. Ist ja auch ok, es ist wichtig, es macht vielen Menschen Angst. Und es sind viele Betrüger unterwegs, die das ausnutzen.

Placeboeffekt

Über Homöopathie kann man denken, was man will. Ich selbst bin skeptisch, wenngleich es ein homöopathisches Mittel gibt, das bei mir ziemlich gut wirkt. Ist das nur der Placeboeffekt? Von mir aus.

Der Placeboeffekt wird im Buch immer wieder erwähnt. Denn einen anderen Grund kann es ja nicht geben, wenn eine irgendwie esoterisch angehauchte Methode eine Wirkung zeigt.

Bei diesem Thema zeigt sich wieder, dass die Autorinnen mit Begriffen durchaus flexibel umgehen. Placeboeffekt bei „echten“ Medikamenten = hervorragend und absolut erwünscht! Placeboeffekt bei Homöopathie = reine Selbsttäuschung, ein Depp, wer darauf reinfällt. Spannend, oder? Es ist wie bei der Ganzheitlichkeit. Der gleiche Aspekt ist in der Medizin begrüßenswert und in der Esoterik bestenfalls lachhaft, schlimmstenfalls lebensbedrohend.

Wie ironisch, dass ich direkt im Anschluss an Gefährlicher Glaube das Buch Woman on Fire von Sheila de Liz in die Hand nahm. Und diese Autorin, promovierte Ärztin, schreibt doch tatsächlich: „Dr. Placebo ist ein guter Arzt“ (S. 236). Mir stand der Mund offen. Und weiter: „Schließlich – und das gilt für so vieles in der Komplementärmedizin wie auch in der klassischen Medizin – ist die Placebowirkung eine reale Wirkung und tatsächlich sehr ernst zu nehmen“ (ebd. in der 28. Auflage, Taschenbuch).

Ärzte(fehler)

Der Logik des Buches folgend, gibt es im medizinischen Bereich nur zwei Optionen: die „richtige“ Medizin und Humbug. Zu Humbug ist (für alle, die es an dieser Stelle immer noch nicht kapiert haben) jegliche alternative Behandlungsmethode zu zählen. Da kann man sich gleich ins Grab legen. Leider vergessen die Autorinnen dabei, dass es auch einfach schlechte Ärzt*innen gibt. Und wenn man an so jemanden gerät, hilft auch die reinste Medizin nicht mehr.

Mein Vater hat sein ganzes Berufsleben bei der Allianz verbracht. Seine Kollegen, die die Ärztefehler bearbeiteten, gingen alle nicht mehr zum Arzt – viel zu gefährlich, sagten sie.

Ironischerweise bringen die Autorinnen auf S. 84-85 genau so ein Beispiel. Hier wurden zwanzig alternative Praxen durch einen „richtigen“ Arzt darauf getestet, wie sie mit einer klaren Krebsdiagnose umgehen. Und siehe da: „Fünf [ausgebildete Mediziner mit alternativer Zusatzspezialisierung] scheiterten bereits daran, den Befund überhaupt korrekt zu interpretieren.“ Das klingt für mich weniger nach einem esoterischen Problem, als vielmehr nach einem ganz klaren Versäumnis im Medizinstudium. Entweder wurden hier die entsprechenden Fähigkeiten nicht vermittelt, oder ungeeignete Kandidat*innen für den Arztberuf wurden nicht erkannt und vor dem Examen ausgesiebt.

Und klar, auch alternativ kann viel schiefgehen. Meine Hausärztin bietet Akupunktur an und hat das B-Diplom (Akupunktur wird komischerweise im Buch gar nicht erwähnt, obwohl Meridiane immer in Anführungszeichen gesetzt werden). Sie hat mir von einem Heilpraktiker erzählt, der eine Akupunkturnadel durch das Brustbein in den Herzbeutel gestochen hat. Patient tot. Man solle doch lieber in eine Arztpraxis gehen, meinte sie, die hätten wenigstens einen Anatomiekurs gemacht.

Geschäftemacherei mit der Gesundheit

Die Autorinnen widmen bei der psychischen wie der physischen Gesundheit viele Seiten dem Thema Geschäftemacherei. Denn ihrer Meinung nach sind alle Esoteriker nur kaltblütig hinter unserem Geld her, bereit, uns und unsere Gesundheit für den schnellen Euro zu opfern.

Natürlich gibt es solche Leute, immer und überall. Sie sind kein neues Phänomen. (Auch Präsident Trump und seine „Empfehlung“ während der Covid-Zeit, Hydroxychloroquin zu nehmen, werden mehrfach erwähnt. Und dem geht es ja wirklich nur um Geld und Macht.) Und es scheint ja für fast jeden Quatsch, ob esoterisch oder nicht, Kaufwillige zu geben. Das sieht man an der Werbung, die auf Social Media ausgespielt wird, und nicht zuletzt auch am Erfolg von Plattformen wie Temu.

Ich habe mich allerdings gefragt, wann die Autorinnen zuletzt in einer Arztpraxis waren und wie sie eigentlich versichert sind. Denn sobald ich heutzutage eine Facharztpraxis betrete, wird mir quasi sofort eine IGeL oder sonstige Privatleistung angeboten. IGeL sind individuelle Gesundheitsleistungen, die von der Kasse nicht bezahlt werden, weil ihr Nutzen nicht immer wissenschaftlich bewiesen ist oder nicht für hinreichend betrachtet wird. Dennoch werden sie auch in komplett unesoterischen Arztpraxen angeboten, die sich der Logik der Autorinnen zufolge doch strikt an die Wissenschaft halten müssten. Und diese Praxen setzten laut IGeL-Report 2024 mindestens 2,4 Mrd. € damit um.

Häufig, so zumindest meine Erfahrung, werden diese IGeL mit reichlich Nachdruck angeboten. Und durchaus mit mehr oder minder deutlichen Warnungen, dass ich durch das Ausschlagen dieses Angebots meine Gesundheit riskiere.

Die neue Zahnärztin, sie arbeitet gründlich, teilt mit, eine Teilkrone und zwei Füllungen müssten unbedingt und sofort neu gemacht werden, Kostenpunkt rund 1.500 €. Aber als Erstes mal eine Zahnreinigung für 130 €. In der Zahnklinik der Universität winkt man ab: Die Krone und die eine Füllung können bleiben. Die andere Füllung bröckelt, kann aber im Studierendenkurs gemacht werden – für 0 €.

Bei der Mammografie wird ein Upgrade auf das neueste Gerät wärmstens empfohlen, kostet leider 100 €. Aber damit findet man auch Veränderungen im Gewebe, die das normale Mammografiegerät nicht sieht! Hier wird also gar nicht mit den Ängsten der Patientinnen gespielt, ja? Brustkrebs ist bei Frauen die häufigste Krebsart mit etwa 70.000 Erkrankungen pro Jahr in Deutschland. Wenn es dann noch eine familiäre Vorbelastung gibt …

Aber dann werde ich mit IGeL wenigstens besser behandelt, oder? Die Dermatologin bietet die Hautkrebsvorsorge für Kassenpatienten nur noch mit Auflichtlupe an, Kostenpunkt 80 €. Die Wartezeit auf einen Termin beträgt dennoch sechs Monate.

Auf Seite 69 zitieren die Autorinnen übrigens eine Studie ausgerechnet aus den USA, wonach kein Zusammenhang zwischen dem Interesse an Esoterik und einer grundsätzlichen Unzufriedenheit mit dem Gesundheitssystem bestehe. (Die Studie ist aus dem Jahr 1999 und wurde mit „mehr als 1000 Personen“ durchgeführt. Man könnte jetzt argumentieren, dass das nicht so ganz repräsentativ und vielleicht auch schon ein wenig veraltet ist.) Leider gehen sie nicht weiter darauf ein, was denn laut dieser Studie die tatsächlichen Gründe sind.

Ich könnte mir vorstellen, dass gerade in den USA großes Interesse an alternativen Heilverfahren besteht, weil die Behandlung im „normalen“ Gesundheitswesen so abartig teuer ist. Auch, wenn man eine Krankenversicherung hat, häufen sich schnell Schulden an. Das liegt beispielsweise an hohen Selbstbehalten oder der Konsultation von Ärzten oder Laboren, die „out of network“ sind, also beim Versicherer nicht unter Vertrag stehen und daher privat zu zahlen sind. Die Preise liegen deutlich höher als in Deutschland. 2009 habe ich in der Notaufnahme in Washington, D.C., 400 Dollar dafür bezahlt, dass man mir ein paar Fragen stellte und meine Lunge abhörte. (Für eine vergleichbare Leistung hat meine Hausärztin in München einer arabischen Touristin 50 € berechnet.) Zum Glück wurde keine Röntgenaufnahme gemacht, und zum Glück hatte ich eine Auslandsreisekrankenversicherung, die alles bezahlt hat!!!

Wunderheiler

Jetzt kommen wir auf ganz schwieriges Terrain.

Lang und breit behandeln die Autorinnen die sogenannten Wunderheiler, die behaupten, schwerste Erkrankungen inklusive Krebs ganz easy heilen zu können. Besonders verbeißen sie sich in Ryke Geerd Hamer, der selbst mir noch ein Begriff war, weil der Fall Olivia 1995 durch die Medien ging. Deren Eltern waren mit ihr von Österreich nach Spanien geflohen, um das kleine Mädchen vor einer Krebstherapie zu „schützen“ und stattdessen von Hamer und seiner „Germanischen Neuen Medizin“ behandeln zu lassen. (Hallo? Wie kann man sich denn auf eine Methode mit einem so bekloppten Namen einlassen? Aber wenn dem Wikipedia-Eintrag oben zu glauben ist, waren die Eltern sowieso eher durchgeknallt. Also ist es vielleicht kein Wunder, dass sie bei dem Typen gelandet sind.)

Was also tun, wenn sich im Umfeld jemand einem Wunderheiler zuwendet? Bei Kindern, die noch nicht selbst über ihr Schicksal entscheiden können, ist der Spaß natürlich vorbei. Da müssen zur Not die Behörden eingreifen.

Bei Erwachsenen ohne geistige Einschränkungen müssen wir vielleicht mal über unser eigenes Verständnis von Autonomie und unser eigenes „ich weiß es besser als du“ nachdenken. Wenn jemand Zugang zu Informationen und „normalen“ medizinischen Behandlungen hat und sich trotzdem für einen Wunderheiler entscheidet, dann ist das sein gutes Recht. Wieso sollte diese Person sich meinem (medizinischen) Willen beugen, nur weil ich eine andere Ansicht habe und ihre Entscheidung mir Schmerzen bereitet?

Ich sehe so eine Situation gerade in meinem Umfeld. Der Schwager einer Freundin lässt seine langjährige Erkrankung mit einer revolutionären, unglaublich wirksamen Methode behandeln. Die Wirksamkeit ist wissenschaftlich bewiesen – in einer Studie mit einer geringen Zahl von Proband*innen, die der Anbieter selbst verfasst hat. Das entspricht nun nicht wirklich einem Beweis, und das weiß der Betroffene auch. Er ist vermögend und hat Zugang zu guter medizinischer Betreuung. Er hat sich dennoch dafür entschieden, in dieser Klinik einen fünfstelligen Betrag pro Behandlungseinheit auszugeben. Die Alternative, eine Operation, möchte er nicht. Er wird seine Gründe dafür haben, auch wenn wir sie nicht verstehen. Hoffentlich hilft ihm die Behandlung.

Vielleicht müssen wir uns auch mit dem Gedanken abfinden, dass es Menschen mit Todeswunsch oder zumindest mangelndem Lebenswillen gibt. Die zwar nicht aktiv von der Brücke springen, es aber gar nicht erstrebenswert finden, beispielsweise den Tumor zu besiegen. „Ach, passt schon, dann sterbe ich halt“, kann man in dieser Situation natürlich nicht sagen, das ist total verpönt. Dann doch lieber eine Behandlung machen, wenn auch eine „falsche“. So hat man es wenigstens „probiert“.

Wir können nicht immer alle retten. Auch wenn wir es natürlich versuchen sollten.

Psychisches

Psychische Themen werden in Gefährlicher Glaube eigentlich nur unter zweierlei Gesichtspunkten angesprochen: Zum einen ist da die stete Warnung vor Esoterik als Psychotherapieersatz. Zum anderen sehen die Autorinnen großes Suchtpotential bei Nutzer*innen von Esoterik.

Therapieersatz

Wenn die Autorinnen vor Esoterik als Psychotherapieersatz warnen, haben sie natürlich recht. Eine Angststörung wird sich nicht verflüchtigen, bloss weil jemand mit etwas Räucherwerk herumwedelt. Aber diese Warnung hilft niemandem, der sich vor der Therapie fürchtet, sich dadurch stigmatisiert sieht und/oder einfach keinen Therapieplatz bekommt. Und außerdem … manches, was die Autorinnen als esoterisch verteufeln, wie z. B. Familienaufstellungen, kann halt doch helfen. Wenn es richtig gemacht ist.

Die Autorinnen schildern ab S. 98 eindrücklich ihren Besuch auf der Messe „Spiritualität und Heilen“, wo ihnen diverse fragwürdige Gestalten über den Weg gelaufen sind. Zu ihrem großen Erstaunen (wirklich?) wollen die Anbieter*innen nicht aus reiner Menschenliebe Heilung bringen, sondern ihre Dienstleistungen verkaufen. Unglaublich, wo hat es das schon mal gegeben? Eine Publikumsmesse, die auf Verkauf abzielt? Ich dachte immer, Aussteller auf Messen zahlen einfach aus Großzügigkeit gerne Geld für einen Stand, um dort einige Tage lang herumzusitzen und schlechten Kaffee zu trinken. Da geht die Esoterikszene wohl mal wieder ganz eigene Wege.

Das ist so eine der Stellen, an denen ich das Buch nicht ganz ernst nehmen kann. Weil mir die Empörung doch recht gestellt vorkommt.

Und leider ist auch eine Psychotherapie nicht immer der Hauptgewinn. Eine Freundin begann eine Therapie, weil sie nach einem brutalen Überfall Angst bekam, wenn sie hinter sich Schritte hörte. Ihr wurde gesagt, sie solle halt die Schritte ignorieren, dann ginge die Angst schon weg. Tolle Idee. Die New York Times hatte neulich einen Artikel über schlechte Therapieerfahrungen ihrer Leserschaft. Da war alles dabei, von Therapeuten, die während der Sitzung einschliefen, bis zu solchen, die ihren Klientinnen sexuelle Avancen machten.

Suchtgefahr

In der Esoterik machen die Autorinnen eine große Suchtgefahr aus. Auf S. 130 ff. buttern sie so richtig rein: „Für viele ist Esoterik eben eine Art psychologisches Hilfskonstrukt, das ihnen die trügerische Illusion von Kontrolle vermittelt.“ Weiter geht es mit „Trost“, „Realitätsflucht“, „Verantwortung für [das eigene] Handeln [auslagern]“, „Unmündigkeit“, „Macht“, „Teufelskreis“, „süchtig“.

Ja. Für andere Menschen erfüllt z. B. der Alkohol diese Funktion. Denn so ist es nun mal. Es wird immer Menschen geben, die – aus welchem Grund auch immer – Probleme haben, sich alleine in der Welt zurechtzufinden. Die es gut finden, wenn ihnen jemand die Entscheidungen abnimmt und sagt, was sie tun sollen. Die einen gehen zum Kartenlegen, die anderen jubeln Diktatoren zu.

Lösungen oder Alternativen für solche Personen bietet das Buch leider nicht an. Statt dessen schwenkt es auf absurde Beziehungstipps in Frauenzeitschriften um, die auf Basis des Sternzeichens gegeben werden (S. 105). Aha.

Das Christentum

Schließen möchte ich mit einem Thema, das seltsamerweise gar keine Erwähnung im Buch findet. Nämlich mit dem Christentum. Aver das ist ja auch Religion und keine Esoterik. Oder?

Wir laufen hier seit mehr als 2000 Jahren einem Mann hinterher, der angeblich Wasser in Wein verwandelt und (ohne medizinische Ausbildung!!!) Blinde sehend gemacht hat. Der auf dem Wasser laufen konnte und drei Tage nach seinem Tod auferstanden ist. In dessen Namen sich viele Menschen total ruiniert haben oder in den Krieg gezogen sind, der für viele Menschen eine Art Therapieersatz ist und ohne dessen Buch viele keine Entscheidung treffen. Von der lange extrem stark ausgeprägten Wissenschaftsfeindlichkeit der Kirche wollen wir jetzt erst gar nicht reden.

Als ich den Titel „Gefährlicher Glaube“ hörte, war mein erster Gedanke, dass es sich wohl um ein Buch zum Thema Religion handeln müsse.

Und Du?

Ich hoffe, ich konnte meinen Standpunkt hier gut rüberbringen. Nicht blind allem hinterherlaufen, aber auch nicht alles gleich verteufeln – und wenn doch, dann bitte mit guten Alternativen.

Wie schaut es bei Dir aus? Was sind Deine Erfahrungen mit Wissenschaft und Esoterik? Ich freue mich auf Deinen Kommentar!

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