Dies ist mein Beitrag zur Blogparade von Birgit Elke Ising zum (fast) gleichnamigen Thema.
Birgits Blogparade lädt dazu ein, Verhaltensmuster, Glaubenssätze etc. zu reflektieren, die „wir von unseren Herkunftsfamilien NICHT übernommen haben“.
Als ich diesen Satz in Birgits Einleitung lese, komme ich ins Stocken. Denn natürlich habe ich verdammt viel übernommen. Dazu gehören Sachen, die mich früher wie heute kolossal nerven. Wenn ich mir früher in der Waschküche von meiner Großmutter beim Handtuchfalten anhören musste „Kante auf Kante!“, hätte ich schreien können. Heute könnte ich schreien, wenn die Handtücher nicht Kante auf Kante gefaltet sind. So ändern sich die Zeiten.
Im Grunde bin ich für „Kante auf Kante“ ganz dankbar. Denn wer weiß, wie es sonst in meinem Wäscheschrank aussähe. Aber es gibt auch vieles, das mir weniger dienlich ist und war und das ich deswegen abgelegt habe. Oder zumindest arbeite ich daran, es abzulegen. Für diesen Artikel habe ich mir fünf Beispiele herausgesucht. Ich fange mit den harmloseren an.
Tisch decken
„Deckst du nicht den Tisch?“, fragte meine Mutter mich einigermaßen fassungslos, als sie mich im Studium besuchte. Für sie war es ein Ritual, abends den Aufschnitt auf Platten anzurichten, das Brot im Brotkorb usw. Ich hatte aber keine drei Sorten Käse und fünf Sorten Schinken und Salami. Sondern nur eine Sache, die aufs Brot kam. Dafür einen zusätzlichen Teller hernehmen und diesen nach dem Essen spülen? Völlig überflüssig.
Damals merkte ich zum ersten Mal bewusst, dass ich Dinge anders mache. Und dass das meine Mutter sichtlich irritierte.
Heute habe ich zwar Teller zum Anrichten, sie bleiben aber im Schrank. Denn noch immer gibt es nur eine Sache aufs Brot.
Weihnachten
Weihnachten war bei uns immer ein sehr großes Minenfeld. Schon Wochen vor dem Fest ging die Spannung hoch. Spätestens mit Ankunft des Weihnachtsbaums war höchste Vorsicht geboten. Den geschmückten Baum nicht ausreichend zu bewundern, war ein echtes Vergehen. Zu wenig Zeit in der Nähe des Baumes verbracht – Verrat. Nicht den ganzen Tag gestrahlt wie ein Honigkuchenpferd – ein Affront. Von entspannten Feiertagen konnte also häufig keine Rede sein.
Das hatte bei uns Tradition. Mein Großvater, von Haus aus ein eher ungeduldiger Mensch, ließ wohl schon gegen 16 Uhr die Rollläden herunter und rief: „Es ist dunkel! Bescherung!“ Meine Mutter verließ daher im Teenageralter bei der ersten Gelegenheit das Haus und verschwand zu ihrer besten Freundin.
Doch als ich mitteilte, ich würde nun nicht mehr an Weihnachten nach Hause kommen, ging fast die Welt unter. Ich hatte schon damit gerechnet, dass diese Ankündigung nicht auf große Gegenliebe stoßen würde. Dementsprechend hatte ich lange überlegt, ob ich es trotzdem wagen sollte. Wer will sich schon derart selbst ins Abseits kicken? Nach dem Fest wurde mir telefonisch ziemlich schnippisch mitgeteilt, man habe sehr schöne Feiertage gehabt, ohne mich. Ganz klar also, wer immer an der schlechten Stimmung schuld war.
Ich habe mittlerweile auch sehr schöne Feiertage. Kein Weihnachtsschmuck und -stress, keine Verpflichtungen, viel Kochen, viel Sofa. Stille Nacht.
Perfektion und Fehler
Schon im Herbst 2023 veranstaltete Sabrina Linn eine Blogparade zum Thema Fehler und Scheitern. Ich fühlte mich gleich angesprochen.
Falls Du meinen Beitrag nicht lesen möchtest, hier ist die Kurzfassung: Fehler wurden bei uns nicht so wirklich gutgeheißen. Perfektion war auf jeden Fall vorzuziehen. Und so wurde „sei perfekt“ zu einem meiner Antreiber. Einen konstruktiven Umgang mit Fehlern lernte ich hingegen nicht. Dinge wie „Fehler eingestehen, Verantwortung übernehmen“ musste ich ebenso lernen wie nicht so streng mit mir zu sein. Heute bin ich zufriedener mit mir. Und auch weniger wütend auf mich selbst, wenn mir (nur ausnahmsweise und ganz, ganz selten, versteht sich) ein Fehler unterläuft.
Rücksicht auf mich selbst
„Du musst das verstehen!“ Noch so ein Satz von meiner Mutter. Regelmäßig hielt sie mich dazu an, für andere Menschen und deren mitunter völlig unangebrachtes Verhalten Verständnis zu haben. Auch, wenn das auf meine Kosten ging. Total ok, dass die andere Person mich blöd anredet, die ist schließlich so unsicher.
Natürlich lernte ich so, meine eigenen Bedürfnisse hintanzustellen oder komplett zu übergehen. Kein Wunder, dass ich in einer Beziehung mit jemandem landete, der seine eigenen Bedürfnisse konsequent über meine stellte. Der fand, ich bräuchte gar keine eigenen Wünsche, Interessen, Freunde, seine reichten doch. Meine Mutter, die sich immer beklagt hatte, wie schlecht sie von ihren Partnern behandelt worden sei, sagte dazu – nichts.
Das soll kein Plädoyer dafür sein, ohne Rücksicht auf Verluste die eigenen Interessen durchzuboxen. So jemanden haben wir auch in der Familie. Sie hat uns allen viel Schmerz zugefügt. Dafür habe ich überhaupt kein Verständnis.
Aber ich versuche, mehr Rücksicht auf mich selbst zu nehmen. Meine eigenen Bedürfnisse wahrzunehmen und zu respektieren. Selbstaufopferung als Tugend halte ich für Quatsch, es dankt einem ja sowieso niemand. Inzwischen lege ich mich lieber mal einen Tag lang ins Bett, statt mich krank in die Arbeit zu schleppen. Ich bitte sogar um Dinge, die ich brauche – Unterstützung, eine Umarmung. Mitunter fällt es mir wirklich noch schwer. Da liegt noch eine Strecke vor mir.
Konfliktverhalten
Bei Konflikten hatte man in unserer Familie die Wahl: Man konnte schreien oder schweigen. Die Rollen waren klar verteilt. So richtig geklärt wurde aber nur selten etwas. Ist ja auch schwierig, wenn es gleich persönlich wird.
Aus diesem Muster herauszukommen, war und ist extrem anstrengend.
Allein das Eingeständnis, dass mein erlerntes Konfliktverhalten nicht perfekt ist – beinahe ein Ding der Unmöglichkeit, wenn man darauf getrimmt ist, keine Fehler zu machen.
Und was so ein konstruktiver Umgang mit Konflikten einem alles abverlangt! Zuhören. Reflektieren. Eigene Gefühle und Bedürfnisse wahrnehmen und formulieren. Empathie. Reflexe unterdrücken. Innehalten. Eine Lösung suchen, noch dazu gemeinsam. Einfach herumbrüllen und dem anderen die Schuld geben, das geht viel leichter!
Vor einigen Jahren hatten meine Schwester und ich eine Krise. Ich fühlte mich total abgelehnt. Wenn wir im familiären Muster verblieben wären, hätten wir heute vermutlich kaum Kontakt miteinander. Schwesterkonflikte kennen wir auch aus unserer Familie. Wir haben uns damals entschieden, einen anderen Weg zu gehen. Der war lang und steinig, hat uns aber beide weitergebracht. Heute verstehen wir uns viel besser – im doppelten Sinne. Die Anstrengung lohnt sich also.
Danke, Birgit, für diese Möglichkeit der Reflexion.