Angst beim Reisen

„Hast Du keine Angst?“ werde ich schon seit Jahrzehnten gefragt, „so ganz alleine?“

Nein.

Wenn ich Angst hätte, würde ich nicht reisen.

Natürlich bin ich aufgeregt, natürlich bin ich aufmerksam in einer unbekannten Umgebung. Aber das ist in Berlin genauso wie in Beijing. Meine größte Sorge ist eigentlich immer, dass ich meinen Pass zuhause vergesse.

Aber das bin nur ich. Du stehst hier nicht mit mir in Konkurrenz. Wenn es Aspekte des Reisens gibt, die Dir wirklich Angst machen, ist das völlig in Ordnung. Mein Vorschlag wäre: schreib Dir auf, wovor Du Dich genau fürchtest, und dann fang an zu recherchieren. Vielleicht stellst Du ja fest, dass Deine Angst (aus Deiner eigenen Sicht) unbegründet ist. Wenn sie jedoch bestehen bleibt, such Dir ein anderes Reiseziel oder eine andere Reiseform, mit denen Du Dich besser fühlst. Reisen ist kein Leistungssport, bei dem Du Dich halt einfach mehr pushen musst.

Achtung, bitte: Wenn Du häufig auch im Alltag Angst verspürst und dies Deine Lebensqualität beeinträchtigt, kann es sich lohnen, diese Angst und ihre Ursachen genauer anzusehen. Bitte sprich mit Deiner Ärztin/ Deinem Arzt über Deine Symptome und Behandlungsmöglichkeiten!

Wovor sollte ich eigentlich Angst haben?

Das wurde mir nie gesagt. Die Angst (oder „Sorge“) war immer eher diffus. Aus meiner Sicht handelt es sich um eine generelle Angst vor dem Anderen, dem Unbekannten, dem (und den) Fremden. Vor meiner ersten Reise nach China war meine Mutter sich ganz sicher, dass ich zu Tode kommen würde: „Ich traue den Chinesen nicht!“ Die einzigen Chinesen, die sie kannte, waren die Leute vom China-Restaurant und der TCM-Arzt, zu dem ich sie mal geschleppt hatte. Nicht gerade repräsentativ.

Passieren kann mir überall was – auch in Deutschland kann man Opfer von Überfällen, Vergewaltigungen, Verkehrsunfällen und Morden werden. Pauschal zu unterstellen, dass die Wahrscheinlichkeit proportional mit der Entfernung vom Heimatort steigt, ist unlogisch und mitunter rassistisch. Zum Beispiel hat mich nie jemand gefragt, ob ich nicht in Italien Angst habe, obwohl ich schon von viel mehr Leuten gehört habe, die in Rom beklaut wurden als in Bangkok.

Aber schauen wir doch mal im Detail.

Angst vor Gewalt

Ja, kann passieren, ganz klar. Mir zum Glück noch nicht, aber ich habe auch schon tolle Geschichten gehört. Zum Beispiel die von dem japanischen Touristen, der in voller Montur sein Hotel in Brasilien verließ und eine Stunde später in der Unterhose zurückkehrte. Alles andere hatte man ihm abgenommen.

Daher empfehle ich, immer die Sicherheitshinweise des Auswärtigen Amts zu lesen. Wie ist die Lage im Land, kann ich damit umgehen? Wenn mir schon beim Lesen der Schweiß ausbricht, suche ich mir besser ein anderes Reiseziel. Aber ich empfehle auch zu überlegen: trifft das auf mich überhaupt zu? Häufig konzentriert sich Gewalt in Stadt- oder Landesteilen, die man als Tourist ohnehin nicht betritt.

Oder es passiert einem einfach nichts. Mein Physiotherapeut war sechs Wochen lang in Kolumbien unterwegs. Er war geradezu empört, dass er kein einziges Mal überfallen wurde.

In vielen Ländern werden Touristen eher Opfer von Taschendiebstahl oder Trickbetrügereien als von Gewaltverbrechen. Ein bisschen common sense sollte man als Reisende natürlich mitbringen: also besser nicht mit Geldbündeln und teuren Uhren wedeln. Nicht umsonst heißt es immer, man sollte auf Reisen nur Dinge mitnehmen, deren Verlust man verschmerzen kann.

Bei mir liegt der Schwund meist daran, dass ich vor Stress oder Aufregung irgendwo etwas liegenlasse.

Alles darüber hinaus ist persönlich. Ich habe zum Beispiel lange gezögert, nach Vietnam zu fahren. Zu oft hatte ich von anderen (erfahrenen) Reisenden gehört, dass sie dort am laufenden Band abgezockt, übers Ohr gehauen und beklaut wurden, und überhaupt seien die Leute unfreundlich und das Essen schlecht. Meine Erfahrung war genau das Gegenteil. In vier Wochen bin ich ein einziges Mal übervorteilt worden (selber Schuld, ich hätte besser aufpassen müssen). Ansonsten waren alle total nett und freundlich, es war eine supertolle Reise, und ich wäre am liebsten noch drei Monate länger geblieben. Das Essen fand ich auch herrlich.

Angst vor sexueller Belästigung

Ja, auch das kann passieren. Darüber muss man sich im Klaren sein.

Dies ist ein sehr schwieriges Thema und in diesem Artikel der Abschnitt, mit dem ich mich am schwersten getan habe. Täter gibt es überall, siehe #metoo. Ja, es gibt Gesellschaften, in denen die Frau einen wesentlich niedrigeren Stand hat als der Mann und dem entsprechend behandelt wird. Ja, es gibt (überall) Männer, die ihr Glück bei der Touristin versuchen, weil die vermeintlich leicht zu haben ist.

So abgedroschen es ist, und ohne victim blaming betreiben zu wollen: ich finde durchaus, dass sich westliche Reisende häufig kulturell sensibler verhalten könnten, insbesondere im Hinblick auf Kleidung. Schultern und Knie zu bedecken, ist auch in weiten Teilen Asiens angebracht – das gilt auch für Männer.

(Und wer jetzt schreit „ich ziehe an, was ich will!!“, sei daran erinnert, dass man auch in Europa nicht mit Tanktop und Shorts in Kirchen gehen darf.)

Trotzdem bin ich keinesfalls der Ansicht, dass ich als (westliche) Frau im Ausland automatisch einem erhöhten Risiko von sexueller Belästigung ausgesetzt bin. Auch nicht in muslimischen Ländern. Auch nicht mit blonden Haaren.

Je nach persönlichem Erscheinungsbild, darunter Körpergröße, Haut-, Haar- und Augenfarbe, fallen Touristinnen sofort auf. Ich bin gerade in Asien regelmäßig offen angestarrt worden – von Männern und Frauen. Viele wollten dann auch mal die helle Haut anfassen oder ein gemeinsames Foto machen. Ein Kleinkind in Laos ist bei meinem Anblick in Tränen ausgebrochen.

„Hello! Photo!“ 2016 in Bhutan

Meistens ist das echte Neugier, und oft ergeben sich daraus nette kleine Interaktionen. Aber ich habe auch schon abgelehnt, wenn ich mich damit nicht wohlgefühlt habe.

Das ist sowieso das Allerwichtigste: entscheide, wie Du Dich mit der Situation fühlst. Wenn Dir unwohl ist, geh. Sofort. Du musst nicht „nett“ sein.

Und natürlich gilt: als allein reisende Frau, egal wo, ob ganz alleine oder in einer Gruppe, bist Du immer verheiratet, und Dein Mann wird gleich da sein. Das löst schon einige Probleme.

Außerdem: Du musst niemanden nah an Dich herankommen lassen. In konservativen Gesellschaften (und Du kannst davon ausgehen, dass die meisten Kulturen konservativer sind als unsere) ist in der Regel ein gewisser Abstand zwischen den Geschlechtern zu wahren. Wenn Dir also jemand zu sehr auf die Pelle rückt, ist es völlig legitim, Dich aus der Situation zu entfernen.

Natürlich gibt es Männer, die im Umgang mit ausländischen Touristinnen andere Maßstäbe ansetzen als bei Frauen aus ihrem eigenen Land. Die auch die Tatsache, dass sie mit einer Ausländerin (häufig) anders reden können als mit einer Einheimischen, ausnutzen. In bestimmten muslimischen Ländern habe ich verschiedene Interaktionen erlebt und beobachtet, wo man aus europäischer Sicht sagen würde, der Typ hat einen blöden Spruch gerissen. So einen Spruch kann er sich aber nur einer (westlichen) Touristin gegenüber erlauben; von seiner kulturellen Warte aus hat er also echt eine Grenze überschritten. Es bringt nichts auszurasten, aber ich reagiere in solchen Situationen sehr kühl, um zu verdeutlichen, dass das nicht in Ordnung war. Das hilft in der Regel. Aus meiner Sicht ist es wichtig, hier eine klare Grenze zu setzen.

Und um es noch einmal zu betonen: das waren Ausnahmen. Die absolute Mehrzahl der Interaktionen, die ich mit Männern in muslimischen Ländern hatte, war höflich, freundlich und respektvoll.

Angst vor Erkrankungen

Ein Bekannter von mir fing sich in Myanmar Würmer und Parasiten und schaffte es mit letzter Kraft nach Bangkok ins Krankenhaus. Der Vater einer Freundin brach nach einer Dienstreise nach Vietnam abends im Wohnzimmer zusammen – Amöben in der Leber. Mir selber ging es nach dem Abendessen im Yippee Restaurant, ebenfalls Myanmar, am nächsten Morgen gar nicht jippie.

Deshalb hat man auch immer, immer, wirklich immer eine gültige Auslandsreisekrankenversicherung mit Rücktransport ins Heimatland. Kostet nicht viel, hilft im Fall der Fälle aber extrem.

Street food in Lijiang, China

Vor und während der Reise selber kannst Du viel für Deine Gesundheit tun. Das ist natürlich wichtig, wenn Du z.B. von Haus aus einen empfindlichen Magen hast. Jeder ernstzunehmende Reiseführer behandelt gesundheitliche Gefahren ausführlich. Sprich mit Deiner Ärztin/ Deinem Arzt über sinnvolle Impfungen und eine Reiseapotheke. Meine überreichte mir mal mehrere kleine Schachteln mit den Worten „Für Durchfall. Für schweren Durchfall. Für sehr schweren Durchfall.“ Wasch Dir die Hände. Pass auf, wo und was Du isst. Halte Dich von Tieren fern – streunenden Hunden ebenso wie hungrigen Löwen. Vermeide Insektenbisse und Mückenstiche.

Meine einzige „echte“ Lebensmittelvergiftung habe ich mir übrigens nicht in einer asiatischen Garküche eingefangen, sondern in einem sehr netten Café in Neuseeland.

Angst vor „Chaos“

Je nach Reiseland ist das eine durchaus begründete Angst. Menschenmassen, Gewusel und Lärmpegel setzen auch mir mitunter ganz schön zu, besonders in Kombination mit tropischem Klima.

Ja, es ist total anstrengend, wenn sich zehn Taxifahrer gleichzeitig auf einen stürzen oder man alle drei Meter mit einem neuen Angebot bestürmt wird („Tour? Souvenir? Change money?“). Du kannst das zu einem gewissen Grad steuern – arrangiere Deinen Transport im Voraus, sei mit einem Guide unterwegs. Wenn es Dir in der Stadt zu voll und hektisch ist, kannst Du Dich mehr in ländlichen Regionen aufhalten. Aber beschränk Dich nicht darauf, von Deinem Reiseland nur den Hotelpool zu sehen. Das wäre wirklich schade.

Viele Dinge laufen anders ab als bei uns. Das bedeutet nicht zwangsläufig, dass sie schlechter sind oder nicht funktionieren. Sie sind einfach anders. Wenn Du Dich darauf einlassen kannst, ist es sehr bereichernd zu sehen, welche Lösungen in anderen Ländern gefunden werden.

Was auf den ersten Blick als Chaos erscheint, ist in der Regel wohlgeordnet. Ich bin immer noch schwer beeindruckt von dem Flughafenmitarbeiter in Myanmar, der sich die Tickets, Pässe und Koffer von sechs Passagieren gleichzeitig schnappte und davontrug. Wenig später gab er, ohne zu gucken, jedem von uns den korrekten Pass und die korrekte Bordkarte. Das Flugzeug kam an, einige Passagiere und Gepäckstücke wurden aus-, andere eingeladen, Tür zu, Abflug. Alles funktionierte reibungslos innerhalb von 15 Minuten. Genauso wird man, wenn man in Hanoi gut sichtbar und in gleichmäßigem Tempo eine Straße überquert, nicht überfahren. Die zahllosen Mopeds werden tatsächlich, wie das bei YouTube zu sehen ist, um einen herum fahren, ohne dass es zu einem Unfall kommt. Bei uns undenkbar.

Angst essen Spaß auf

Die meisten Reisenden kommen wohlbehalten und strahlend wieder zurück. Und darum geht es ja auch: eine Reise soll Spaß machen. Wenn Du die ganze Zeit überlegst, was Dir als nächstes passieren könnte, hast Du einfach nur Stress.

Du musst nicht zwangsläufig ein Opfer werden. Vor über 20 Jahren fuhr ich mit meiner Oma mit dem Zug nach Florenz. Mit im Abteil waren eine andere junge Deutsche, zwei junge Italiener und ein Amerikaner. Letzterer klammerte sich an sein Gepäck, verweigerte jedes Gespräch und beobachtete uns misstrauisch. Er schien nur darauf zu warten, dass wir die Messer zücken und ihn ausrauben. So hat er leider die gesamte Fahrt in Angst vor diesen gefährlichen, auf Deutsch und Italienisch durcheinander schnatternden Europäern verbracht.

Du musst nicht zwangsläufig erkranken, nur weil Du z.B. an einem Marktstand isst. Ich bin nicht das Maß der Dinge, habe aber selber schon häufig unter, nun ja, hygienisch bedenklichen Umständen gegessen, ohne Probleme zu bekommen. Wer bei uns in der Gastronomie arbeitet, weiß, dass es da auch nicht immer keimfrei zugeht.

Du musst Dir auch nicht schon im Vorfeld alles madig machen wie der Deutsche, der während eines kurzen Flugs in der Südsee hinter mir saß und seiner Frau fortlaufend erklärte: „Das würde bei der Lufthansa nicht passieren!“ Super Start in den Urlaub.

Ich habe doch mal Angst gehabt

Vor knapp 20 Jahren war ich in Laos unterwegs. In Nong Khiaw, einem kleinen Dorf in einer unglaublich schönen Karstlandschaft, mieteten meine Reisebekanntschaft Sebastian und ich uns einen vergleichsweise luxuriösen Bambusbungalow auf den typischen Stelzen. 5 Dollar pro Nacht.

In Nong Khiaw war echt nix los. Tagsüber gingen wir spazieren, wenn es dämmerte, suchten wir uns was zu essen. Es gab damals etwa drei guest houses und ebenso viele Restaurants. Statt dort auf die Speisekarte zu schauen, fragte man besser, was es denn gäbe. Wir aßen quasi im Wohnzimmer der Köchin, die Familie wartete nur darauf, dass wir endlich gingen, damit sie die Kinder ins Bett bringen konnten. Sonstige Unterhaltung gab es keine, viele Einheimische vertrieben sich die Langeweile mit Selbstgebranntem und mit Drogen.

Auch die Besucher gingen früh schlafen, es gab ja sonst nichts zu tun. Doch wie ich da so lag in der ersten Nacht, hörte ich plötzlich etwas. Da war doch jemand! Ich hörte ganz deutlich ein Geräusch, als ob jemand einen Schritt macht und ganz langsam den Fuß abrollt. Und wieder!

Ich war sofort hellwach und hatte Visionen von einem zugedröhnten, stark alkoholisierten Laoten, der sich mit seiner Machete anschleicht und sicher gleich die Treppe hinaufstürmt, um uns zu zerhacken. Mein Bett war direkt an der Tür, mich würde es also sofort erwischen. Sebastian, auf der anderen Seite des Raumes, würde sich vielleicht noch über unser offenes Bad in Sicherheit bringen können.

Ich hörte Schritt um Schritt, der Angreifer schien um unseren Bungalow herumzuschleichen. Es konnte sich nur noch um Sekunden handeln, bis er im Zimmer stand.

In diesen Augenblicken hatte ich echte Angst.

Zehn Minuten später war noch immer nichts geschehen. Ich entschied, dass diese Person wohl derart zugedröhnt sein müsse, dass sie die Treppe nicht findet. Dem entsprechend wären wir wahrscheinlich doch nicht in akuter Gefahr. Irgendwann schlief ich ein.

„Hast Du das auch gehört?“ fragte mich Sebastian am nächsten Morgen. Er wirkte nicht ganz unbesorgt.

Wir erzählten natürlich dem niederländischen Paar davon, das am Abend in den Bungalow nebenan einzog. Sie hatten das gleiche Erlebnis wie wir, aber sie hatten am nächsten Morgen eine bessere Erklärung:

„Das waren keine Schritte. Das waren Ratten auf dem Dach.“

Selten war ich so erleichtert.

Ironischerweise ist die Reaktion, die ich auf diese Geschichte bekomme, immer dieselbe: „Igitt, RATTEN?? Das ist ja ekelig!“

Dazu kann ich nur sagen: lieber die Ratte auf dem Dach als den Mörder im Zimmer…

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5 Kommentare

    1. Liebe Annette,
      ich denke, das kommt immer auf die Kombination aus Persönlichkeit und aktueller Situation an. Und je nach Mitreisenden kann es auch in einer Gruppe verdammt einsam sein…
      Liebe Grüße, Julia

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