Insgesamt habe ich etwa sieben Jahre lang für Kanada gearbeitet: erst für die Provinz Alberta, später für Ontario und zuletzt für die Bundesregierung. Die Frage, die ich in Deutschland am häufigsten hörte, war: „Dann sind Sie ja sicher oft in Kanada?“
Leider nein. Meine Dienstreisen waren hauptsächlich innerhalb Deutschlands, nach Kanada habe ich es bei jeder Station nur ein einziges Mal geschafft. Im Herbst 2022 hatte ich das OK für eine dienstliche Reise, um Kundengespräche zu führen und eine Seminarreihe zu halten. Meine Vorgesetzten begrüßten mein privates Interesse, das Land etwas besser kennenzulernen, und bewilligten meinen Urlaubsantrag, also: Auto mieten und los. (Es gibt auch einen Luxuszug, den Rocky Mountaineer. Leider sieht die kanadische Regierung nicht vor, dass ihre MitarbeiterInnen mit dieser Form des Reisens vertraut gemacht werden…)
Mein erster Aufenthalt in Alberta, im November 2006, hatte sich auf Edmonton und Calgary beschränkt und war leider so gewesen, wie man sich Kanada im Winter vorstellt: grau und kalt. Mein Chef hatte vorgeschlagen, ich könne ja von Calgary aus einen Tagesausflug in die Rockies machen, aber angesichts tiefer Temperaturen und vieler Wolken war ich lieber in der Stadt geblieben. Alberta und ich hatten also noch eine Rechnung offen.
Im Herbst 2022 hatte ich wesentlich mehr Glück. Kurz vor meiner Ankunft in Calgary hatte es in den Bergen noch geschneit, und ich hatte in Panik noch schnell lange Merino-Unterwäsche gekauft. Die brauchte ich zum Glück nur an einem Tag. Ansonsten lachte fast immer die Sonne.
Meine Route sollte mich von Calgary aus zunächst nach Lake Louise, Moraine Lake und Yoho NP führen, dann weiter über den Icefields Parkway nach Jasper und schließlich in den Süden zum Waterton Lakes NP sowie nach Südosten zu Petroglyphen, Badlands und Dinosauriern. Vielleicht interessiert Dich auch, wie ich diesen road trip organisiert habe.
Von Calgary aus in die Berge
Nach Abschluss meiner Dienstreise fand ich mich, mit Bärenspray und Wanderstiefeln bewaffnet, am Flughafen Calgary ein, um meinen Mietwagen im Empfang zu nehmen. Ich habe in Deutschland kein eigenes Auto, deshalb hatte ich natürlich die kleinste Fahrzeugklasse reserviert, das verfügbar gewesen war.
„Would you be comfortable driving a small truck today, Madam?“ strahlten mich die Mitarbeiter an. Also so ein etwa LKW-großes Fahrzeug, das in Alberta Standard ist. So schnell wie ich hat noch niemand nein gesagt. Der Mann, der nach mir drankam, lehnte aber auch ab.
Zweite Runde. „We have an upgrade for you!“ Man wies auf ein etwa hausgroßes SUV. Ob es nicht was Kleineres gäbe, fragte ich. „You want a sedan?“ Das Auto neben dem SUV war jetzt auch nicht viel kleiner.
Aber daneben stand ein Kleinwagen. Ob ich den haben könnte, fragte ich. Fassungslosigkeit. „You want THAT car?“ Da müssten sie erstmal die Schlüssel suchen. Die Schlüssel fanden sich, und alle waren glücklich – wahrscheinlich hatten die Mitarbeiter schon überlegt, wie sie dieses kleine Auto, das ja eh keiner mieten will, loswerden sollten.
Der schnellste Weg nach Banff and beyond ist auf dem Trans-Canada Highway. Da fahren natürlich auch alle LKWs. Um die zu vermeiden, wählte ich den Highway 1A, der vom Flughafen aus leicht zu erreichen ist, ohne die Stadt zu durchqueren. Kaum aus der Stadt raus, ist man schon im farming country und die Landschaft direkt wunderschön. Es gibt nur wenig Verkehr, so dass ich problemlos langsam fahren und den Ausblick genießen konnte. Nach Einkaufsstopp in Cochrane (no way würde ich 3x täglich im Restaurant essen) fuhr ich weiter nach Canmore zum Three Sisters Viewpoint. Das erste Mal im Busch – kein Bär. Nur ein Hund jagte mir einen Schrecken ein.
Ab Canmore muss man ein Stück auf dem Trans-Canada Hwy fahren, bis kurz hinter Banff der Bow Valley Parkway, abermals 1A, abzweigt. Die Straße läuft parallel zum Trans-Canada Hwy, nur auf der anderen Seite des Bow Rivers, und abermals mit weniger Verkehr und vielen tollen Ausblicken.
Relativ bald gelangt man zum Johnston Canyon mit seinen bekannten Wasserfällen. Daran fuhr ich vorbei, weil ich gelesen hatte, dass es auf dem Rest meiner Route noch viel schönere Fälle geben würde. Überhaupt hatte ich natürlich das Problem, viel zu wenig Zeit für viel zu viel Programm zu haben.
Die Morant’s Curve wollte ich mir aber nicht entgehen lassen. In Kanada ist sowieso jede noch so geringe Sehenswürdigkeit idiotensicher ausgeschildert, diese aber wirklich kaum zu übersehen. Es handelt sich um ein beliebtes Fotomotiv, dem entsprechend viele Fahrzeuge stehen am Straßenrand und dem entsprechend viele Kameras sind auf der Aussichtsplattform aufgebaut. Nach etwa 15 Minuten Wartezeit kam ein Zug. Auch ohne hätte sich ein Stopp gelohnt. Die Aussicht ist einfach phantastisch.
Nur wenige Fahrtminuten später ist der Highway 1A plötzlich zu Ende. Linkerhand wartet der Ort Lake Louise. Der Ort liegt nicht am See Lake Louise; das sorgt mitunter für Verwirrung. Es ist wohl möglich, vom Ort zum See zu wandern, das konnte ich aus zeitlichen Gründen leider nicht machen. Lake Louise ist komplett auf Touristen eingestellt und entsprechend teuer. Mein Bett im Hostel (5er-Zimmer) hat so um die 50 € pro Nacht gekostet und war die günstigste Option, die ich gefunden habe (abgesehen vom Zelten).
Abstecher nach BC: Yoho National Park
Der Yoho NP ist nur etwa eine halbe Stunde Fahrtzeit von Lake Louise entfernt. Auf dem Trans-Canada Hwy war nicht viel los, da die Straße im weiteren Verlauf wegen Bauarbeiten gesperrt war und der ganze Fernverkehr umgeleitet wurde. Es war schon etwa 16 Uhr, deshalb konnte ich nicht so lange bleiben, wie ich gern gewollt hätte, aber ich sah meinen ersten See mit dem berühmte smaragdfarbenen Wasser: den Emerald Lake. Die ganze Gegend ist sehr beliebt für Hochzeitsfotos, und auch bei einem kurzen Spaziergang am See kam ich an einem Paar vorbei, das sich zu einem romantischen Shooting aufgestellt hatte. HAST DU GERADE MEINE BLUMEN AUF DEN BODEN GESCHMISSEN?, schrie die Braut den Bräutigam an, während der Fotograf was von liebevollen Vibes rief, die er einfangen wollte…
Moraine Lake & Lake Louise
Vom Ort Lake Louise aus führt eine Straße in die Berge zum See Lake Louise. Etwa auf der Hälfte der Strecke zweigt die Straße zum Moraine Lake ab.
Die beiden Seen sind sehr beliebt, und das aus gutem Grund. Sie sind wirklich spektakulär. Deshalb war ich völlig erschüttert, als ich hörte, die durchschnittliche Verweildauer am Lake Louise betrage gerade mal 15 Minuten. Was?? Warum macht man sich denn die Mühe der Anreise und fährt dann gleich wieder? Aber dann erinnerte ich mich an meine amerikanischen Gastgroßeltern, die mit mir in den Yosemite Park gefahren waren. Dauerte auch eine Stunde vom Hotel. Wir kamen an und marschierten gleich zum Mittagessen ins Restaurant. „Und was machen wir jetzt?“ fragte ich, als wir mit dem Essen fertig waren. „Jetzt fahren wir wieder zurück“, hieß es.
Ok, in vielem ticken die Nordamerikaner einfach anders als ich. Ich würde nicht in einen Nationalpark fahren, um dort nur zu Mittag zu essen. Aber wenn man nicht wanderfreudig ist (viele Besucher waren fortgeschrittenen Alters und nicht so gut zu Fuß), gibt es am Lake Louise nicht viel zu tun. Man kann am Seeufer entlang schlendern, oder man kann im Fairmont Château Lake Louise essen und trinken. Und die Insta-Fotos sind mit etwas Routine auch schnell gemacht.
Ich hatte natürlich ambitioniertere Pläne und deshalb gleich den Parks Canada Shuttlebus um 6:30 Uhr gebucht. Meine Reservierung wurde kurzfristig geändert mit der Erklärung, Ende September fahre der erste Bus erst um 8 Uhr (warum ich 6:30 Uhr hatte buchen können, konnte sich niemand erklären). Naja, auch in Ordnung. Ich rückte früh an, um auf jeden Fall den ersten Bus zu erwischen – es gilt das Prinzip first come, first served, auch mit Reservierung. In der Warteschlange für den Bus lernte ich ein Ehepaar aus Quebec kennen, die seit Juli mit einem Campervan im Land unterwegs waren und ultimativ zu ihrer Tochter in British Columbia wollten. Aber jetzt wollten wir alle erstmal wandern!
Moraine Lake
Im Gebiet um Lake Louise gibt es viele verschiedene Wandermöglichkeiten. Eigentlich hätte ich mindestens eine Woche gebraucht, um alles „abzuarbeiten“, aber es gab ja noch so vieles anderes zu entdecken. Also hatte ich mich zähneknirschend für nur eine Wanderung entschieden, den Klassiker Lake Agnes Teahouse. Daher fuhr ich zuerst zum Moraine Lake, um später nicht unter Zeitdruck zu geraten.
Der See war ja mal auf der kanadischen 20-Dollar-Note abgebildet und wird quasi immer hergenommen, wenn es darum geht, die kanadischen Rockies zu versinnbildlichen. Kein Wunder. Bewölkt war es schon sehr beeindruckend. Wir hatten immerhin das Glück, ihn in ziemlicher Windstille zu erleben.
Natürlich war es nicht so leer, wie es auf dem Bild aussieht. Wäre es wärmer gewesen (die Temperaturen lagen um den Gefrierpunkt), wäre der See wahrscheinlich schon voller Kanus gewesen.
Am See warnten diverse Schilder vor Bären. Aufgrund der Nahrungssituation waren die Tiere schon ziemlich weit ins Tal gekommen, um vor dem Winterschlaf möglichst viel zu fressen. Und auch wenn ich natürlich gerne einen oder mehrere Bären sehen wollte, musste es nicht alleine und direkt von Angesicht zu Angesicht sein.
Lake Louise
Während sich der Himmel am Moraine Lake zugezogen hatte, war es am Lake Louise dann schon richtig unfreundlich. Im Laufe des Nachmittags fielen auch ein paar Schneeflocken, die einzigen der Reise. Der Wanderweg zum Lake Agnes Teahouse war dennoch belebt. Auch das zu Recht – der Weg selber ist zwar nicht besonders spektakulär, die Aussicht dafür umso mehr. Gerade, wenn man vom Teehaus (das aus allen Nähten platzte) noch weiter zum Little oder Big Beehive wandert. Das lohnt sich sehr. Ich selber war am Little Beehive und wäre auch gerne noch weitergewandert, wäre das Wetter nicht gewesen.
So stieg ich wieder ab, lief noch etwas am Seeufer entlang und nahm den Bus zurück zu einer heißen Dusche und einem warmen Abendessen.
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