Eine tolle Stadt! Kolkata, den meisten wahrscheinlich besser als Kalkutta bekannt, stand bei mir nie auf der Bucket List. Natürlich war mir die Stadt aus dem Religionsunterricht der Grundschule ein Begriff. Denn dort wirkte schließlich Mutter Teresa, die sich selbstlos um die Horden von Leprakranken kümmerte. Lange war mein Bild von Kolkata also: ein schrecklicher Moloch, absolutes Elend, alle haben Lepra.
Umso verblüffter war ich vor Jahren, als ich in einem Buch (war es Das mohnrote Meer von Amitav Ghosh?) Beschreibungen von Kolkata zur Kolonialzeit las. Paris des Ostens? Reichtümer? Teak überall? What?
Ok, offenbar war diese Stadt doch nicht ein einziger Slum. Hinzufahren, wäre mir dennoch nicht in den Sinn gekommen. Aber dann buchte ich 2016 diese Rundreise durch Nordostindien, die in Kolkata begann und endete (zwischendrin waren wir noch im nördlichen Westbengalen, Sikkim und Bhutan).
Erster Tag: Alleine am Altar
Von Kerala aus kam ich am Vorabend des Reisebeginns in Kolkata an. Die Durga Puja, das Fest zu Ehren der Göttin Durga, war in vollem Gange. Es ist das wichtigste Fest in Westbengalen und gehört seit 2021 zum UNESCO-Weltkulturerbe.
Das bedeutete zunächst, dass der Verkehr noch zähflüssiger war als wohl sonst schon. Es bedeutete aber auch, dass in der ganzen Stadt Altäre aufgebaut waren. Hier kommt wohl die jeweilige Nachbarschaft zusammen und baut und schmückt einen Tempel, der nach dem Fest wieder abgerissen wird.
Und so eine Stätte befand sich direkt gegenüber von meinem Hotel!
Als ich die Rezeptionistin fragte, ob ich dort hingehen könne, sah sie mich an, als hätte ich den Verstand verloren. Ihre gemurmelte Antwort verstand ich auch auf Rückfrage nicht. Also beschloss ich, es einfach zu probieren.
Erstmal im Restaurant schräg gegenüber Mut anessen … 😬

Besonders beeindruckt hat mich, dass auf der Speisekarte spezifiziert wurde, wie viele Kartoffeln im Biryani serviert würden. Am zweiten Abend habe ich mich im selben Laden draußen getraut, einen dieser herrlichen Paratha-Wraps zu bestellen. Es ging dort zu wie auf dem Oktoberfest – kein Wunder, die Dinger kosteten kaum was und schmeckten hervorragend. Zwar gab es eine englische Speisekarte, aber alle schrien auf Bengalisch durcheinander. Mein Bengalisch ist … äh … nicht so gut. Natürlich war es alles überhaupt kein Problem, denn als einzige Europäerin hatte das Personal mich fest im Blick. Als mein Essen fertig war, wurde ich hergewunken.
Gestärkt pirschte ich mich langsam in Richtung Altar. Natürlich war ich die einzige nicht-Asiatin weit und breit und als einzige Frau nicht in einen besonders schönen Sari gewandet. (Da waren so tolle Saris unterwegs!!!) Und natürlich hatte ich panische Angst, unabsichtlich einen monströsen Fauxpas zu begehen und vom Hof gejagt zu werden. Zunächst schlich ich also auf Zehenspitzen herum.

Alles halb so wild. Es gab viele ungläubige Blicke – wo kommt die Ausländerin her? Aber niemand schien sich an meiner Anwesenheit zu stören. Schließlich sprach mich ein Mann auf Englisch an und begann, mir zu erklären, was es da eigentlich alles zu sehen gab. (Reichlich!)

Als nächstes bekam ich etwas zu essen, zu trinken, es wurden Fotos gemacht, ich wurde gefilmt. 15 Minutes of Fame. 😄 Es war eine total schöne und entspannte Atmosphäre.

Zweiter Tag: Stadtrundfahrt
Am nächsten Morgen trafen meine Mitreisenden ein, nach dem langen Flug aus Deutschland natürlich alles andere als ausgeschlafen. Zügig brachen wir auf zur Stadtrundfahrt. Vorteil für mich: Weil alle halb komatös waren, hatte ich tagsüber den Guide quasi für mich alleine und konnte ihn mit Fragen löchern.
In Kolkata dürfen nur einheimische Guides Stadtführungen anbieten. Zusätzlich zu unserem deutschen Reiseleiter Jürgen und unserem local guide Nidup („local“ ist jetzt auch relativ, Nidup kam aus Nepal) wurden wir nun also auch noch von einem „echten“ Einheimischen betreut. Seinen Namen habe ich leider vergessen, aber er war super. Fand ich zumindest. Denn im Gegensatz zu Jürgen hat er meine Fragen beantwortet.
An Details kann ich mich nicht mehr wirklich erinnern, daher folgen jetzt viele Fotos.
Natürlich waren wir über den Tag verteilt in mehreren Durga-Stätten. Darunter war auch eine, die wirklich riesig war und durch die man richtig durchgeschoben wurde.



Für das Fest werden auch extra Durga-Statuen hergestellt, traditionell aus Stroh mit Lehm.



Einer der ersten Stopps war der Calcutta Jain Temple aus dem Jahr 1867.





Was mir in Indien immer wieder passiert ist: Leute kommen einfach auf einen zu und wollen gemeinsame Fotos machen. Bei mir war es nicht ganz so extrem wie bei Ansgar, der offenbar einem bekannten Cricktspieler sehr ähnlich sieht. Aber meine Haarfarbe erregt Aufmerksamkeit. Es waren immer total nette Begegnungen, auch wenn die verbale Verständigung manchmal schwierig war.

Zum Mittagessen gingen wir in ein Buffetrestaurant, das auch von Einheimischen stark frequentiert war. Als Einzige traute ich mich zum Nachtisch an Kulfi heran, das ich natürlich Indian-style bestellte. Die junge Frau, die das Eis anrichtete, freute sich, meine Mitreisende schauten verschreckt. Es sollte sich herausstellen, dass das Thema Essen auf dieser Reise ein ganz großes war. Ein paar Anekdoten habe ich bereits an anderer Stelle verbloggt.

Weiter ging es mit der Victoria Memorial Hall …


… und den umliegenden Kolonialgebäuden.


Die Howrah Bridge und den Blumenmarkt sahen wir auch kurz …

… bevor wir durch den Berufsverkehr zum Hotel zurückschlichen.

Letzter Tag: Mutter Teresa und Zufallsbegegnung
Aus Bhutan kommend, hatten wir noch eine Übernachtung in Kolkata, bevor es nach Deutschland zurückging. Vom Flughafen aus ging es quasi direkt zum Krankenhaus von Mutter Teresa. Das war dann auch tatsächlich der einzige Ort in Kolkata, an dem Bettler geballt auftraten.
Diesmal hatten wir keinen zusätzlichen Guide – der Besuch zählte offenbar nicht als Stadtführung. Danach wurden wir zum Hotel zurückgefahren. Meine Zimmergenossin Irene und ich hatten noch keine Lust aufs Zimmer und wollten uns lieber noch etwas umsehen. Es muss so gegen 18 Uhr gewesen sein. Gefühlt war die halbe Stadt unterwegs. Wir schoben uns durch die Massen und kamen an einem beeindruckenden Bau vorbei. Das müsse wohl das Oberoi Hotel sein, sagte ich zu Irene, und während wir so guckten, sagte eine Stimme: „Do you want to go inside?“
Unser Guide vom ersten Tag. Was für ein Zufall ist das denn?? Wir waren total baff, dass er uns in der Menschenmenge überhaupt gesehen hatte. Naja, meinte er, mit meinen Haaren würde ich natürlich schon auffallen. Aber dass er sich an mich überhaupt erinnere, wandte ich ein, er habe doch ständig neue Touristen? Woraufhin er nur meinte: „Du warst die Einzige, die mit mir gesprochen hat.“ 🥴
Und so kamen Irene und ich zu einer Führung durch das Oberoi. Ein wirklich sehr, sehr schönes Hotel. Es steht auf der Liste für den nächsten Besuch.
Straßenszenen














Fazit: Paris des Ostens?
Man sieht an allen Ecken und Enden, dass Kolkata mal eine sehr reiche Stadt war. Die richtig guten Zeiten sind leider vorbei. Ich möchte gar nicht behaupten, dass alles toll sei. Denn so sieht es in Kolkata leider auch aus:

Aber ich fand die Stadt wirklich faszinierend. Sie hat eine ganz eigene Atmosphäre. Sicher, man muss damit umgehen können, dass es wahnsinnig voll ist und die Luftqualität wirklich zu wünschen übrig lässt. Dafür gibt es überall etwas zu entdecken. Und weil der (westliche) Tourismus nicht so verbreitet ist, sind die Leute sehr nett und neugierig, man wird nicht ständig angequatscht und in Läden gezogen etc. Das macht vieles wieder wett. Und wenn es doch zu viel Stadt ist, kann man einen Tagesausflug in den Sundarbans National Park machen. Hier gibt es noch bengalische Tiger.
Anderthalb Tage waren für mich nicht genug, ich wäre gerne noch länger geblieben.
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