Gelegentlich arbeite ich bei Veranstaltungen im Service. Getränke ausgeben, Teller abräumen, solche Sachen. Neulich hatten wir eine ganztägige Konferenz. Um halb eins reihte sich die hungrige Teilnehmerschaft zur Essensausgabe ein.
„Hoffentlich“, sagte ein Mann Ende 50 deutlich hörbar, „gibt’s da nicht wieder nur veganes Zeugs.“
Ich bin seit gut 20 Jahren Vegetarierin. Lange hatte ich mir nicht vorstellen können, kein Fleisch zu essen. Meine Mutter hatte in dieser Hinsicht ganze Arbeit geleistet: Vegetarier essen nichts als Grünkernbratlinge, hatte sie uns immer vermittelt, die sind trocken und schmecken nach nichts. Dann doch lieber ein Schnitzel.
Meine Magisterarbeit schrieb ich zum Thema Fleisch. Das war keine Absicht. Mir wollte nur partout kein Thema einfallen, und so griff ich dankbar den Vorschlag meines Professors auf.
Und wie ich da so las und las und las über die Entwicklung der Fleischindustrie im 19. Jahrhundert und die haarsträubenden und ziemlich widerlichen Zustände, die damals in den Fleischfabriken herrschten…
… es heißt ja auch immer, bei der Herstellung von Würsten und Gesetzen solle man besser nicht anwesend sein (wird Otto von Bismarck zugeschrieben, laut Wikiquote aber fälschlicherweise)…
… las ich auch immer mehr Quellen, die sagten, heutzutage gehe es noch genauso übel zu, wenn nicht noch schlimmer. Urgh. Nicht sehr appetitlich.
Gleichzeitig war Deutschland im Bann von Rinderwahn und Maul- und Klauenseuche. Irgendwie, dachte ich mir, könnte es nicht schaden, meinen Fleischkonsum etwas zu reduzieren. Meine Schwester, die damals bei mir wohnte, zog mit.
Das beste an meiner Magisterarbeit war eigentlich, dass das Thema so lebensnah war und ich mit quasi jedem darüber reden konnte. Fast jeder konnte mit einer Geschichte aufwarten. Gleichzeitig war ich verblüfft, wie empfindlich manch eine(r) reagierte. Eine Amerikanerin fuhr mich, nur weil ich mir einen Gemüseauflauf bestellt hatte, an, ich als Vegetarierin könne doch nicht anderen verbieten– „Aber ich bin doch gar keine Vegetarierin“, sagte ich (damals war ich noch im Übergang). Sie schaute mich an, als würde sie gleich explodieren. Ich beschloss, dringend das Thema zu wechseln, um den Abend nicht restlos zu ruinieren.
Auch bei Leuten, die mich schon lange und (wie ich meinte) gut kannten, staunte ich, wie heftig manche Reaktionen ausfielen. Es gab dabei zwei „Argumentationsschienen“: 1) Du kannst den Leuten nicht verbieten, Fleisch zu essen! und 2) wie kriegst Du denn Deine Nährstoffe?
Bemerkenswert, wie viele Menschen sich angegriffen fühlen, bloß weil jemand etwas nicht tut. Derjenige muss nicht mal selber den moralischen Zeigefinger heben, das übernehmen die anderen stellvertretend für ihn. Insgesamt fühlte ich mich stark an meine Teenagerzeit erinnert, als ich mich dafür rechtfertigen musste, warum ich kein Bier trinken wollte.
Inzwischen werden Vegetarier (mit einigen Ausnahmen) nicht mehr als durchgeknallte Freaks angesehen. Das sind jetzt die Veganer. Der Diskurs ist gleich geblieben.
Ich möchte an dieser Stelle keine Diskussion über Sinn und Unsinn eines veganen Lebensstils lostreten. Während der Recherche für meine Magisterarbeit habe ich verschiedene Argumentationen gelesen, dass die Beschaffenheit des menschlichen Darms klar zeige, dass der Urmensch ein Pflanzen-, Tier- oder Allesfresser war. Das kann ich wissenschaftlich nicht beurteilen.
Mir erscheint es einleuchtend, dass Menschen Allesfresser sein sollen, weil ihnen das ermöglicht hat, sich an verschiedene Gegebenheiten erfolgreich anzupassen und fast die gesamte Welt zu besiedeln. Alles weitere, so auch das Fazit meiner (nebenbei bemerkt, überaus lesenswerten ;-)) Magisterarbeit, ist im Kopf.
Fakt ist: niemand stirbt, bloß weil mal kein Fleisch auf dem Teller liegt. Aber erstaunlich viele Menschen sehen sich in ihrer Identität bedroht, wenn sie mal etwas weglassen sollen. Fleisch ist eben nach wie vor ein enormer kultureller signifier, der das gute Leben bedeutet, Wohlstand, Sicherheit. Und nicht zuletzt auch Macht und Männlichkeit. Das möchte natürlich niemand offen zugeben. Statt dessen wird gerne gesundheitlich argumentiert, obwohl es auch für Veganer reichlich Möglichkeiten gibt, sich ausgewogen zu ernähren. Vielleicht ist es etwas komplizierter, und man muss bewusster einkaufen und essen. Ich wage trotzdem zu bezweifeln, dass ein Teller voll fertig mariniertem Grillfleisch vom Discounter gesünder und ausgewogener ist als ein Teller Nudeln mit selbst gekochter Gemüsesauce.
Fakt ist auch: die meisten Menschen merken es gar nicht, wenn sie etwas Veganes essen. Ich habe mal mit einem Mann gekocht, der vegane Ernährung für eine ideologische, lustfeindliche Essstörung hält. Er war wirklich vehement: vegetarisch war okay, vegan inakzeptabel. Dann hat er selber ein indisches Gericht vorgeschlagen, das vegan war. Hier hat er sich selber ausgetrickst: indisches Essen war für ihn unverdächtig, da in Indien seiner Meinung nach überall mit Ghee, also geklärter Butter, gekocht wird. Wir haben aber Öl verwendet.
Bei der eingangs erwähnten Veranstaltung gab es übrigens tatsächlich nur veganes Zeugs. Das haben wir dem Herrn natürlich nicht unter die Nase gerieben. Auch nicht, als er sich noch einen Nachschlag holte.
Liebe Julia,
Klasse Artikel! Ich bin auch immer wieder erstaunt über diese Debatte. Vielleicht steckt auch eine Angst dahinter. Die Angst, Gewohnheiten, eigene Meinigen, Überzeugungen ändern zu müssen, zu sollen, zu können. Manchmal frage ich mich, wo ist unsere Toleranz und Respekt dem anderen gegenüber geblieben.
Liebe Grüße, Birgit
Liebe Birgit,
vielen Dank! Das sehe ich ähnlich – weil Essen (unbewusst) so ein wichtiger Teil der Identität ist, geht es echt an die Substanz, da was zu ändern. Manchmal eben auch, wenn andere etwas bei sich ändern …
Liebe Grüße
Julia