Die Life-Coach-Schwemme (mit Checkliste)

Coaches schießen momentan gefühlt wie Pilze aus dem Boden. Es gibt scheinbar nichts, worin man nicht gecoacht werden kann. Eigentlich kenne ich den Begriff coach aus dem Englischen, wo er einfach den/die Sporttrainer*in bezeichnet. Gelegentlich scheint er bei uns aber eher die Bedeutung „umfassende/r Problemlöser*in“, wenn nicht „Heilsbringer*in“ zu haben – gerade, wenn es sich um Life-Coaches handelt.

Wie sinnvoll ist dieses ganze Coaching? Vor vielen, vielen Jahren las ich mal einen Artikel in einer Mädchenzeitschrift zum Thema „Wie gut ist der Rat der besten Freundin?“ Mehrere Mädchen präsentierten ihre Probleme, die jeweils beste Freundin gab Rat. Für mein Teenager-Selbst klang das damals auch ganz sinnvoll, was die sagten. Aber dann wurde ein Psychologe gefragt, und dessen Urteil fiel deutlich aus: Nett gemeint, aber verfehlt den Kern des Problems.

Manchmal frage ich mich, ob das nicht auch bei vielen Coachingprogrammen so ist.

Am Ende des Artikels findest Du ein paar Anhaltspunkte, wie Du seriöse Coaches identifizieren kannst.

Ich habe ein Problem!

Probleme zu haben, auch schwere, ist völlig normal. Mittlerweile ist es ja in weiten Teilen der Gesellschaft akzeptabel geworden, zu seinen Problemen, je nach Peinlichkeitsgrad auch „Themen“ oder „Herausforderungen“ genannt, zu stehen und sich dafür Hilfe zu holen.

Gut so!

Das ist aus meiner Sicht absolut begrüßenswert. Natürlich kannst Du versuchen, Deine Probleme alleine zu lösen. Oder Du ignorierst sie einfach. Je nach Art des Problems bringt das weder Dich selber noch Dein persönliches Umfeld oder gar die Welt weiter.

Hier geht es nicht um die allüberall beschworene Selbstoptimierung (auch so ein Trend). Hier geht darum, mit sich und seinem Leben halbwegs im Reinen zu sein. Wer beispielsweise unter seinen emotional abwesenden Eltern gelitten hat, soll das gerne mit professioneller Hilfe aufarbeiten.

Professionell ist das Wort.

Ich habe einen Coach!

Klingt ja irgendwie ganz cool. Und auf jeden Fall besser als Psychotherapeut*in.

Psychotherapie hat in den letzten Jahrzehnten zum Glück viel Stigma verloren. Aber manchmal beharren gerade die, die es am nötigsten hätten, darauf, dass bei ihnen alles in Ordnung sei. Wer ahnt, Hilfe zu benötigen, sich aber nicht eingestehen kann, dass er/sie eine Therapie braucht, soll gerne ein Coaching buchen. Vorausgesetzt, der/die Coach ist entsprechend qualifiziert, erkennt die Grundproblematik und ebnet den Weg für eine weitergehende Behandlung.

Wenn aber Coaches, sei es aus Unwissenheit, Eitelkeit oder weil die Kundschaft so gut zahlt, ihre Coachees eben nicht sanft zu einer tieferen Bearbeitung einer gravierenden Thematik ermuntert, sind sie aus meiner Sicht Teil des Problems. Mit Feel-Good-Sprüchen wird keine nachhaltige Hilfe geleistet und im Zweifel nur noch mehr kaputt gemacht. Nicht jedes Problem ist durch Mindset-Optimierung zu lösen.

Und so ein Coaching kann ja ganz schön teuer sein. Klar, auch Coaches wollen vorhersehbare Einnahmen haben (fünf- bis sechsstellige monatliche Umsätze sollten es schon sein, sagen zumindest die ganzen Coaches, deren Facebook-Werbung mir ausgespielt wird). Da bietet es sich an, ein mehrmonatiges Paket zu verkaufen statt Einzelstunden. Der hohe Preis wird häufig damit gerechtfertigt, dass dadurch mehr commitment bei den Klient*innen erreicht wird. Da ist ja auch was dran. Habe ich allerdings, ggf. unter erheblichem, akutem Leidensdruck und daher ohne gründliche Prüfung und Vergleich mehrerer Anbieter, eine solche langfristige Begleitung gekauft und hege ich nach der dritten Sitzung erste Zweifel… dann ist das Geld im Zweifel weg, die Probleme aber immer noch da. Und schlimmstenfalls kann ich mir dann keinen Therapieplatz mehr leisten, auch wenn ich ihn jetzt dringender denn je bräuchte.

Ich werde Coach!

Wer nichts wird, wird Wirt, hieß es früher. Heute scheint sich mancher zu denken: Werde ich halt Coach!

Natürlich gibt es viele Coaches, die über tiefe Expertise verfügen, sich eingehend mit ihrem Thema beschäftigen und fundierte Ausbildungen absolviert haben. Die hoch effektiv arbeiten und wirklich spürbare Erfolge erzielen. Ich kenne solche Leute auch. Sie sind ein echtes Geschenk.

Aber da der Begriff Coach in Deutschland nicht geschützt und die Ausbildung nicht reglementiert ist, kann ich mich nicht darauf verlassen, so jemanden zu erwischen. Mit Schrecken erinnere ich mich an die Coachingausbildungssession, die ich auf Sansibar notgedrungen mitbekommen habe. Ich wollte eigentlich nur in Ruhe was essen. Am Nebentisch saß betont tiefenentspannt und sehr selbstzufrieden eine Frau und sprach mit ihrer „Coach-Azubine“, die offenbar heftige Selbstzweifel plagten. Es hagelte Plattitüden. Sie solle sich vorstellen, wie toll ihr Leben demnächst werde, wenn sie ihre Klienten berät. (Ich dachte auch immer, solche Gespräche seien vertraulich, die Dame krähte aber ziemlich laut herum.)

Das mit der neuen Karriere kann grundsätzlich auch ganz schnell gehen. „Kurze Coaching Ausbildung“ hat bei Google fast eine Million Suchergebnisse. Das erste Ergebnis, das mir angezeigt wird (natürlich Werbung), heißt „4 Tage Kompaktausbildung – Systemisches Coaching“. Vier Tage! Was ich so von der systemischen Arbeit mitbekommen habe, schien mir wesentlich komplexer zu sein, als dass es in vier Tagen umfassend vermittelt werden könnte.

Aber selbst diese vier Tage kann man sich im Grunde schenken und einfach seine Dienste anpreisen. Schickes Thema identifiziert, noch schickeres Design entwickelt, ein paar hübsche Fotos, los geht’s. Wer ohnehin schon gut in den sozialen Medien unterwegs ist, kann sich vielleicht schon bald über zahlende Kunden freuen.

Solche Leute haben sich dann hoffentlich einen Bereich ausgesucht, in dem sie wenig Schaden anrichten können – beispielsweise Farb- und Stilberatung.

Wesentlich bedenklicher finde ich die ganzen Leute, bei denen die persönliche Eignung ganz offensichtlich fehlt. Die eine Laufbahn als Life-Coach einschlagen, obwohl sie ihr eigenes Leben noch nicht so ganz auf die Reihe gekriegt haben. Die sich wahrscheinlich insgeheim erhoffen, dass sie gemeinsam mit ihren Kund*innen heilen.

Neulich lief mir eine Dame über den Weg, die Coaching bei Angststörungen anbietet. Sie war früher selber betroffen und will anderen helfen, da rauszukommen. Löblich. Trotzdem habe ich mich gefragt, ob ein Coaching wirklich der richtige Weg ist, wenn ich eine echte Angststörung habe. Ich habe mal rumgeflaxt, dass ich aufgrund meiner Vorerfahrung ja Coach für den Umgang mit toxischen Vorgesetzten werden könnte. Das fanden einige Leute sehr vielversprechend (Coaching, um sich aus toxischen Beziehungen zu lösen, läuft offenbar super). Aber ich weiß nicht, ob es da nicht doch eine fundiertere Intervention braucht als ein Coaching.

Darum geht es: Arbeite ich an einem Sachthema oder an einem psychischen bzw. Persönlichkeitsthema? Und falls letzteres, bin ich dafür wirklich geeignet und richtig ausgebildet? Oder gebe ich nur nett gemeinte Ratschläge? Kann ich die Geister, die ich da vielleicht rufe, zähmen? Oder stürzt mein Coachee vor meinen Augen in ein noch größeres Loch?

Checkliste: Wie finde ich seriöse Coaches?

Eine schöne Website ist gut geeignet, um sich einen ersten Eindruck zu verschaffen. Leider ist sie aber noch kein Garant für Qualität (außer vielleicht für die Qualität des Webdesigners…). Empfehlungen können ein Anhaltspunkt sein, aber im Endeffekt muss es für Dich passen. Mir wurde zum Beispiel mal eine Ärztin empfohlen, die sehr gut qualifiziert und total nett sei. Ich fand sie schrecklich unsympathisch und habe mich in ihrer Praxis nie wohlgefühlt.

Hier sind ein paar Punkte, auf die Du bei der Coachsuche achten solltest:

  1. Thema. Worum geht es, was ist Dein Anliegen? Wofür möchtest Du Dir Unterstützung holen?
  2. Fachwissen. Sind die Coaches auf Dein Thema spezialisiert oder „Feld-, Wald- und Wiesencoaches“? Über den Tellerrand hinauszublicken, ist in jedem Job wichtig und sinnvoll, aber wer als Coach jedes Thema bearbeitet, kennt sich im Zweifel nirgendwo so richtig gut aus.
  3. Hintergrund und Ausbildung. Wie kamen die Coaches zum Thema? Wie lange beschäftigen sie sich schon damit? Welche Methodenkompetenz liegt vor? Welche Ausbildungen wurden durchlaufen? Google ruhig, was es damit auf sich hat, und/oder frag nach.
  4. Kostenloses, unverbindliches Erstgespräch. Das ist Standard und dient unter anderem dazu, zwei Fragen zu klären: a) Passt Ihr thematisch/fachlich zusammen? b) Passt Ihr persönlich zusammen? Das Gespräch sollte natürlich auf Deine spezielle Situation eingehen und nicht der Selbstbeweihräucherung der Coaches dienen.
  5. Programmaufbau. Gibt es im Rahmen des Programms eine Möglichkeit zur Zwischenreflexion? D. h., wirst Du als Coachee im Laufe des Programms dazu befragt, wie es Dir mit den Maßnahmen geht, ob etwas angepasst werden sollte o. ä.?
  6. Versprechen. Natürlich willst Du Ergebnisse sehen. Aber wie realistisch ist das, was Dir in Aussicht wird? Auch die besten Coaches können keine Spontanheilung bewirken oder dafür sorgen, dass sich Deine Probleme über Nacht ins Luft auflösen.
  7. Druck. Drängen die Coaches Dich zum Vertragsabschluss? Dann Finger weg. Wer seriös arbeitet, wird Dich nicht unter Druck setzen.
  8. AGB. Wenn Du Dich für ein Programm entscheidest, unterschreibst Du einen Vertrag, der auf Allgemeinen Geschäftsbedingungen (AGB) basiert. Lies Dir diese in Ruhe durch. Achte auch auf Dinge wie Kündigungsmöglichkeiten und -fristen. Nur für den Fall der Fälle.

Und: Wenn Du schon länger insgeheim überlegst, ob Du nicht vielleicht doch ein Problem hast, für das Du professionelle Hilfe in Anspruch nehmen möchtest, dann besprich das Thema ruhig zunächst mit einer Ärztin bzw. einem Arzt. Dort sitzt die Fachkompetenz, man kann Dir Empfehlungen geben und Dich ggf. auch an jemanden überweisen, dessen (psychologische) Unterstützung von den gesetzlichen bzw. privaten Krankenversicherungen bezahlt wird.

Wenn Dein Anliegen nicht ernst genommen wird – das geschieht leider nach wie vor häufig -, dann geh in eine andere Praxis.

2 Kommentare

  1. Die Checkliste ist sehr hilfreich. Am besten Ausdrucken und zum Gespräch oder Telefonat mitnehmen. Coaches sind meist sehr redegewandt, da ist es manchmal sinnvoll auf die Beantwortung der Fragen zu beharren.

    Hier in Österreich haben wir einen anderen Boom…..Aromatherapeuten schießen wie Pilze aus dem Boden…..Aromaöle sind super, doch alles heilen sie auch nicht…..

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