Künstliche Intelligenz (KI) findet inzwischen in vielen Lebensbereichen Anwendung. Auch für Übersetzungen stehen verschiedene Tools zur Verfügung, beispielsweise Deepl oder ChatGPT. Aber wie gut sind solche KI-Übersetzungen wirklich?
Als ich noch im Konsulat von Kanada arbeitete, nutzten wir gelegentlich Deepl für Übersetzungen kurzer Texte ins Französische, wenn unsere hauseigenen Übersetzerinnen nicht zur Verfügung standen und es schnell gehen musste. Das war eine große Hilfe, da ich Französisch nicht annähernd so schnell schreibe wie Deutsch oder Englisch. Es ging quasi im Handumdrehen, und die Qualität war zwar nicht perfekt, aber doch sehr gut – 97%.
Vor kurzem habe ich Deepl für zwei größere Projekte genutzt, bei denen längere Texte vom Deutschen ins Englische übersetzt wurden. Einmal ging es um eine Unternehmens-Website, einmal um Auszüge aus einem Roman.
KI-Übersetzung einer Website
Der Arbeitgeber eines Freundes, eine kleine Organisation, die fast exklusiv in Deutschland aktiv ist, wollte ihre Website ins Englische übersetzen lassen. Es handelte sich um eine vergleichsweise kleine Website mit wenigen Seiten, dafür aber spezialisiertem und hochwertigem Content. Diese Qualität sollte sich natürlich in der Übersetzung widerspiegeln.
Nach einem kurzen Testlauf mit dem komplexesten Text auf der Website wurde Deepl für gut befunden und ich damit beauftragt, die Websitetexte mit dem Tool zu übersetzen und anschließend zu korrigieren, soweit nötig.
Die Übersetzung lag natürlich wesentlich schneller vor, als ein menschlicher Übersetzer das jemals geschafft hätte. Die Qualität der Übersetzung war sehr gut. Ich musste nur vereinzelt ausbessern – hauptsächlich bei der Groß- und Kleinschreibung. Die sehr wenigen größeren Korrekturen hatten ihre Ursache im Ursprungstext, der an einigen Stellen nicht optimal formuliert war.
Mein Fazit: sehr schnelle Erledigung der Übersetzung, sehr gute Ergebnisse für Sachtexte.
KI-Übersetzung eines Romanauszugs
Wie alle Verlage möchte auch der unabhängige Verlag STROUX edition internationale Lizenzen für seine Bücher verkaufen. Natürlich kauft kein Verlag einen Titel und bezahlt für eine komplette Übersetzung, ohne zumindest Auszüge gelesen zu haben. Daher nutzte STROUX edition Deepl für eine Übersetzung solcher Textauszüge und beauftragte mich damit, diese zu überprüfen und gegebenenfalls zu überarbeiten.
Das Buch
STROUX edition ist spezialisiert auf biographische Belletristik. In „Gröttrup und das Universum der erfinderischen Zwerge“ von Alfred Schmidt (2022) geht es um das Leben und Wirken von Helmut Gröttrup. Gröttrup war Ingenieur und arbeitete zunächst in den Raketenprogrammen der Nationalsozialisten und später der Sowjets. Später kam er nach München, wo er bei GAO, einem Tochterunternehmen von Giesecke&Devrient (das sind die, die unter anderem das Geld drucken), für verschiedene bahnbrechende Innovationen verantwortlich war. Unter anderem entwickelte er die Technologie für die Chipkarte.
Das Buch erzählt eine faszinierende Geschichte, die hoffentlich auch bald im Ausland begeisterte Leser finden wird. Kurz nach Veröffentlichung dieses Artikels wurde der Titel von einer internationalen Lizenzagentur ins Programm aufgenommen.
Meine Arbeit
Das Buch vereint (Wissenschafts-) Geschichte, technische Details und persönliche Biographie und ist folglich sehr komplex. Mir kam zugute, dass ich mit dem Text bereits vertraut war, da ich die Schlusskorrektur des deutschen Manuskripts übernommen hatte.
Um es gleich vorweg zu nehmen: Ich habe wesentlich mehr und wesentlich substantiellere Änderungen vorgenommen als bei der oben erwähnten Website.
Es zeigte sich sehr schnell, dass Deepl, wie erwartet, eine sehr gute Übersetzung des Originaltexts abgeliefert hatte. Aber was in weiten Teilen fehlte, war die sprachliche Anpassung, insbesondere von Idiomen, kulturellen Referenzen und kompliziertem Satzbau.
So stammt Gröttrups erste Ehefrau aus Berlin. Ihre „Berliner Schnauze“ wurde als „Berlin snout“ übersetzt. Das ist für nicht-deutschsprachige Leser natürlich unverständlich und verwirrend. Ebenso wurde „sie fiel ihm um den Hals“ mit „she fell around his neck“ übersetzt statt mit „she fell into his arms“. Auch die Übersetzung der im Deutschen typischen sehr langen Sätze musste ich manuell kürzen bzw. umschreiben. Zudem zeigte sich, dass in Fällen, wo ein deutsches Wort verschiedene Bedeutungen im Englischen hat, Deepl nicht immer die ideale Bedeutung wählte – dem Tool fehlt es also (noch) an Kontextverständnis.
Die ursprüngliche Übersetzung hätte es meiner Ansicht nach vermocht, einen Eindruck vom Buch zu vermitteln. Sie wäre aber sehr holprig zu lesen gewesen. Da es bei Literatur auch immer darum geht, wie ein Text klingt, wäre es womöglich schwierig gewesen, LektorInen für den Stoff zu begeistern.
Ein konkretes Beispiel
Original: „Irmgard wurde verhaftet, weil sie bei dem Treffen mit frecher Berliner Schnauze ungeschminkt ihre eigene Meinung zur mörderischen Waffe und zum sinnlosen Krieg beigesteuert hatte.“ (S. 16)
Deepls Übersetzung: „Irmgard was arrested because she had contributed her own unvarnished opinion on the murderous weapon and the senseless war at the meeting with a cheeky Berlin snout.“ (Hier wird, nebenbei bemerkt, der Sinn verändert: Es klingt, als hätte sich Irmgard mit einer Berliner Schnauze getroffen.)
Meine Bearbeitung: „Irmgard was arrested because, in her typically frank Berlin style, she had contributed her own unvarnished opinion on the murderous weapon and the pointless war.“
Mein Fazit
Deepl tat, was es versprach: Es übersetzte Text. Das war es dann aber auch schon. Es gab kein Lektorat, insbesondere keines mit Blick auf internationale und interkulturelle Unterschiede und Besonderheiten. Natürlich war es für mich enorm hilfreich, einen Text vorliegen zu haben, den ich „nur“ noch korrigieren musste, statt mir zunächst Gedanken über eine gute und korrekte Übersetzung zu machen.
Meiner Erfahrung nach funktioniert Deepl am besten bei Sachtexten mit nicht übermäßig komplexem Satzbau und wenig „exotischen“ Themen. Bei anderen Texte würde ich aktuell noch von erheblichem Nachbearbeitungsbedarf ausgehen.
Daher meine Empfehlung: Ich würde KI-Übersetzungen immer von Muttersprachlern (oder solchen, die eine Sprache annähernd auf muttersprachlichem Niveau beherrschen) gegenlesen zu lassen – insbesondere aber in Fällen, wo es darum geht, mehr als nur nackte Fakten zu vermitteln.
Schließlich sehe ich in der Nutzung des Tools einen Vorteil, den die EntwicklerInnen wahrscheinlich nicht primär geplant hatten: Eine holprige Übersetzung zeigt AutorInnen, wo sie ihre Texte noch schärfen und präzisieren können.
Es gibt diesen Text auch auf Englisch – keine KI-Übersetzung, sondern von mir selber geschrieben.
Nachtrag: Deepl vs. ChatGPT
Netterweise stellte mir STROUX edition im Nachgang das folgende Testimonial zur Verfügung:
Wir arbeiten als Literaturverlag (Schwerpunkte Erinnerungsliteratur, autofiktionale und (auto-) biographische Literatur) fast zwei Jahre intensiv mit Julia als freiberuflicher Mitarbeiterin zusammen – in den Bereichen Schlusslektorat, Lektorat, auch beim Testlesen von Manuskripten. Wir sind begeistert von ihrer Sicherheit im Umgang mit Sprache und Text, über ihr sicheres Urteilsvermögen, wir freuen uns über ihren Sprachwitz, ihre Sicherheit in der Formulierung – und auch über ihre Sprachkenntnisse im Englischen sowie auch im Französischen und Spanischen. Julia hat uns bei acht Buchprojekten vielfältig unterstützt und uns bewiesen, dass sie sowohl das Verständnis für belletristische Texte als auch für Sachbuchtexte hat.
Aktuell benötigten wir kurzfristig eine Probeübersetzung der kürzlich erschienenen Romanbiographie „Gröttrup und das Universum der erfinderischen Zwerge“, um einer interessierten Lizenzagentur einen ersten Eindruck zu vermitteln. Die Übersetzung erstellten wir mit Hilfe von Deepl. Da wir uns nicht sicher waren, ob diese KI-Übersetzung wirklich adäquat ist, baten wir Julia um Überprüfung und wenn nötig auch um Korrekturen. Die von ihr wie immer sehr sorgfältig bearbeiteten Textausschnitte, ihre Anmerkungen und Verbesserungsvorschläge für die Übersetzung konnten wir am folgenden Tag an die Agentur schicken.
Wir baten sie auch um Feedback zur Qualität der KI-Übersetzung im belletristischen Sachbuchbereich. Ihre sehr fundierte Analyse bestärkt uns darin, auch zukünftig die KI-Übersetzung durch Julia als kompetente und profunde Sprachkennerin überarbeiten zu lassen.
Annette Stroux, Gründerin und Geschäftsführerin, STROUX edition, München
Diese drei Absätze ließ ich von Deep und ChatGPT ins Englische übersetzen, um die Ergebnisse vergleichen zu können. Um es gleich vorweg zu nehmen, die Übersetzungen sind wieder gut, aber aus meiner Sicht nicht perfekt – sie vermitteln, worum es geht, sind aber sprachlich nicht top. Ich würde bei beiden Texten noch Dinge ändern. Auch fand ich es interessant zu sehen, dass keines der beiden Programme die grundsätzlich bessere Übersetzung geliefert hat, sondern beide stärkere und schwächere Passagen haben.
Deepl übersetzt in der kostenlosen, ohne Anmeldung zugänglichen Version maximal 1500 Zeichen, daher musste ich auf den letzten Absatz verzichten.
ChatGPT scheint keine Zeichenbeschränkung zu haben, dafür muss man dem Tool sagen, was es zu tun hat – in diesem Fall: „Übersetz den folgenden Text ins Englische“.
Die Ergebnisse:
Übersetzung durch Deepl:
As a literary publisher (focusing on memoir, autofictional and (auto-) biographical literature), we have been working intensively with Julia as a freelancer for almost two years – in the areas of final editing, proofreading, also in the test reading of manuscripts. We are thrilled by her confidence in dealing with language and text, her sound judgement, we are delighted by her linguistic wit, her confidence in formulating – and also by her language skills in English as well as in French and Spanish. Julia has supported us in a variety of ways on eight book projects and has proven to us that she has an understanding of both fiction and non-fiction texts.
Currently, we needed a test translation of the recently published novel biography „Gröttrup und das Universum der erfinderischen Zwerge“ (Gröttrup and the Universe of Inventive Dwarfs) at short notice to give an interested licensing agency a first impression. The translation was done with the help of Deepl. As we were not sure whether this AI translation was really adequate, we asked Julia to check it and make corrections if necessary. We were able to send the text excerpts, which she had edited very carefully as always, her comments and suggestions for improving the translation to the agency the following day.
Übersetzung durch ChatGPT:
We have been working as a literature publisher (with a focus on memoir literature, autofictional and (auto-)biographical literature) with Julia as a freelance collaborator for almost two years – in the areas of final editing, copyediting, and also manuscript proofreading. We are thrilled with her mastery of language and text, her sound judgment, and we admire her linguistic wit and precision in expression – including her language skills in English, as well as French and Spanish. Julia has provided diverse support for eight book projects, demonstrating her understanding of both fiction and non-fiction texts.
Currently, we urgently needed a sample translation of the recently published biographical novel „Gröttrup and the Universe of Inventive Dwarfs“ to give an initial impression to an interested licensing agency. The translation was done with the help of Deepl. As we were unsure whether this AI translation was truly adequate, we asked Julia for review and, if necessary, corrections. The text excerpts she diligently worked on, along with her comments and improvement suggestions for the translation, were sent to the agency the following day.
We also requested feedback from her regarding the quality of AI translation in the fiction and non-fiction book domain. Her well-founded analysis reinforces our decision to continue having AI translations revised by Julia, a competent and profound language expert.
Hallo Julia, sehr sehr interessant ein Blog über die Übersetzungs-KI.
Da die KI immer dazu lernen, werden sie ja kontinuierlich besser. Was denkst du, werden sie in einer überschaubaren Zeitspanne die Übersetzer ersetzen und damit Arbeitsplätze vernichten? Das ist im Grunde einer der Schattenseiten der KI’s….. danke für deinen spannenden Erfahrungsbritrag über dieses Thema
Liebe Julia, vielen Dank für diesen interessanten Artikel!
Es gefällt mir, wie du die moderne Technik nicht als Konkurrenz, sondern als Ergänzung zu menschlicher Arbeit ansiehst. Ich wünsche dir weiterhin viel Erfolg bei deiner Arbeit und werde deinen Blog gern weiter verfolgen.
Super spannend, dieser Vergleich. Ich habe eine ähnliche Erfahrung gemacht, musste ein paar Texte vom Englischen übersetzen. Man muss schon sehr akribisch drüber gehen, um beim Leser keine Verwirrung zu stiften- Berlin snout😅.